Seit einigen Tagen feiert die Dresdner AfD ein neues Sternchen. Die Praktikantin Cati Bundesmann hatte sich ans Mikrophon gewagt, um ein paar Takte loszuwerden. Möglicherweise getragen vom naiv-sächsischen Charme löste ihre Rede eine Welle besorgter Begeisterung aus. Wir haben uns fünf leidliche Minuten angehört, die deutlich machen, dass Bundesmann – wie die AfD insgesamt – nur Reizwörter aneinanderhängt und dabei so oft unbemerkt die Perspektive wechselt, dass ihr und allen Umstehenden schwindlig werden müsste.
Auf einer „Demonstration für Meinungsfreiheit vor dem Amtsgericht in Pirna“, organisiert von der Jungen Alternative Sachsen und vor etwa 20 verwirrten Seelen, hatte Bundesmann ihren ersten großen Auftritt, der bei Youtube dokumentiert ist. Noch etwas benommen von der eigenen Courage stolpert sie ins Thema und eröffnet damit, die Kategorien links und rechts rundweg abzulehnen. Das ist nicht neu. Dann allerdings kommt sie zum Kern ihrer Ausführungen, zur Selbstzensur und zum vermeintlichen Irrsinn heutiger politischer Sprache.
Um deutlich zu machen, wie schlimm es um diese Dinge bestellt ist, ruft sie George Orwells „Neusprech“ (siehe der wunderbare Blog selben Namens) auf, den dieser im berühmten Buch „1984“ eingeführt hatte. Allein dieser Umstand mag Beobachter, die im besorgten Sprech ungeübt sind, ernstlich verwirren. Um ihre Zuhörer nicht über die Maßen zu beanspruchen und mögliche Einwände abzuwenden, fügt Bundesmann sogleich an, dass der Begriff im erwähnten Werk dann doch etwas anders verwendet wird. Also Neusprech, nur anders irgendwie. Aber egal. Der Kern jedenfalls sei, dass „ganz knallharte, schlimme Sachen […] einfach ganz niedlich dargestellt“ werden. Und dass damit Gedanken kontrolliert werden, ziemlich überraschenderweise gegen den Willen der Betroffenen.
Dann folgen ein paar Beispiele, mit denen Bundesmann ihre Abscheu gegen diese Sprache der Zeit ausdrücken will und mit denen sie einige Pirouetten hinlegt – von ihr und den Gästen offenbar gänzlich unbemerkt.
Erstes Beispiel, erste Drehung
Aus „kritischen Bürgern“, erläutert Bundesmann, werden „Aluhutträger“ oder „Nazis“. Will heißen: Aus der eigentlich knallharten Sache „kritische Bürger“ werden verniedlichend und mit manipulativer Absicht Nazis oder Menschen, die an die Verchipung Deutschlands glauben. Dass sie damit den Modus des Neusprechs selbst aus AfD-Sicht auf den Kopf stellt, bemerkt sie offenbar nicht. In ihrem Beispiel werden vermeintlich anständige Dinge böse diffamiert; Orwell schaut nicht einmal verstohlen um die Ecke.
Zweites Beispiel, zweite Drehung
„Unsere illegalen Einwanderer“, fährt sie unbenommen fort“, werden mittlerweile als „Neuankömmlinge“ oder gar „Fachkräfte“ bezeichnet. Wer glaubt, dass sie, jenseits aller politischen Wertung, nun auf den Pfad der rhetorischen Vertuschung zurückgefunden hat, irrt gewaltig. „Indem wir diese Sachen auch verwenden, helfen wir den (sic!) System“, erklärt sie anschließend. Auch wenn – wie Pegida es gern tut – Fachkraft nur sarkastisch gemeint ist, bespielen „wir“ dennoch die Sprache der Bösen, weil nachfolgende Generationen das nicht mehr verstünden. Es geht also gar nicht gegen die Rhetorik der Wirtschaft, die geflüchtete Menschen zwar oft genug auf Humankapital reduziert, sie aber immerhin nicht erschießen will. Der Sarkasmus der eigenen Leute sei das vom Neusprech vernebelte schlimme Ding.
Drittes Beispiel, dritte Drehung
Weil das noch nicht genug der Ungereimtheiten sind, packt Bundesmann noch einen drauf: „Ficki-Ficki“ sei ebenso verwerflich, weil es sich tatsächlich um „Vergewaltigungen“ handle, die man auch so nennen müsse. Das wiederum ist ein ziemlich gut getarnter Angriff auf Tatjana Festerling, die vor einigen Monaten die Formulierung „Ficki-Ficki-Fachkräfte“ in die Welt gesetzt hatte. Das heißt also, dass Festerling in der Logik des neuen AfD-Sternchens Agentin des manipulativen und „Selbstzensur“ einpflanzenden Systems sei und mit ihrem Neusprech die bittere Wahrheit der „Vergewaltigungen“ vertusche. Abgesehen davon, dass Bundesmann damit noch widerlicher und pauschaler als Festerling (was fast unmöglich schien) ziemlich viele Menschen pauschal zu Sexualstraftätern stempelt, tauscht sie einmal mehr Freund und Feind und merkt es anscheinend noch nicht einmal.
Weiter geht die Reihe mit der Formulierung „Mutti Merkel“, die sich ebenso besorgte Bürger ausgedacht haben. Das sei genauso eine dreiste Verharmlosung, weil Merkel in Wirklichkeit eine „gewählte Volksvertreterin“ sei. Das wiederum ist dann eine „knallharte, schlimme Sache“, die vom Neusprech verdeckt werde.
Übrig bleibt der Umstand, dass Bundesmann nichts anderes tut, als Reizwörter aneinanderzureihen. Die Verknüpfungen dazwischen, also die wenigen Worte zwischen „Ficki-Ficki“, „illegale Immigranten“, „Fachkräfte“ usw. interessieren sowieso keinen. Als Bundesmann das erste Mal „Merkel“ ausspricht, reagieren die Zuhörer in perfekter pawlowscher Manier: Sie brüllen reflexartig: „Merkel muss weg!“ Ohne Zweifel gehören sich Tiervergleiche nicht. Aber dieses Schauspiel, das sich da in Pirna abspielte, hinterlässt tatsächlich den Eindruck einer Hundeschule. Einstudierte Kommandos werden abgerufen, Reiz-Reaktions-Muster geschult. Halbwegs logische Verknüpfungen zu ganzen Sätzen sind lästig und viel zu umständlich.
Wer es wie Bundesmann versteht, mit derart abgedrehtem Unsinn 20 Minuten zu füllen, dem steht womöglich eine goldene Zukunft in der AfD bevor.
Ergänzung, 29. August 2016: Die Junge Alternative Dresden erhebt schwere Vorwürfe gegen diesen Beitrag: „Es waren zwischen 250 bis 300 Leute bei der Demo vor dem Amtsgericht. Und die JA Sachsen hat das überhaupt nicht organisiert, sondern die Heidenauer Wellenlänge – Bürgerinitiative Heidenau.“ Das war es an sachdienlichen Hinweisen zur Einordnung einer bizarren Rede. Vielsagend.
Dass Bundesmann Freund und Feind vertauscht stimmt so meiner Ansicht nach nicht. Bis auf den Aspekt mit den Aluhutträgern richtet sie sich in allen genannten Beispielen für „Neusprech“ gegen die Sprache ihrer eigenen politischen Szene ( d.h. Pegida und AfD) und kritisiert dabei deren eigene Selbstzensur. Soweit so schlüssig. Fragwürdig wird die Argumentation vor allem dann, wenn sie behauptet diese Selbstzensur werde irgendwie von oben bzw. dem politischen Gegner oder dem Establischment gesteuert. Festerling ist dieser Logik nach nicht Agentin des Systems, sondern nur durch dieses bereits manipuliert. Aber Freund und Feind vertauscht sie nur im ersten (Aluhut)Beispiel. Der Rest ihrer Aufzählung ist direkte Kritik am eigenen Umfeld. Auch wenn das offenbar den wenigsten ihrer Zuhörer klar wird.