Dass die CDU, zumal in Sachsen, eine mittlerweile verlässliche Partnerin ist, geht es um Boulevard und Skandale, ist spätestens seit dem letzten Jahr eine Binsenweisheit. Sie lassen sich einfach nicht lumpen und auch in der zweiten Juniwoche gab es somit wieder feinste sächsische Realität, die eben prinzipiell auch ganz ohne AfD & Co. für Schlagzeilen sorgen kann. Da hätten wir zum einen die ehemalige Leipziger Finanzkämmerin Bettina Kudla, die nun für ihre Partei, die CDU, im deutschen Bundestag sitzt. Bekannt und beliebt vor allem für ihre, sagen wir, recht groben Beiträge auf Twitter, in denen sie z. B. nach dem Nazi-Angriff auf Leipzig-Connewitz mitteilte, dass man objektiv bleiben solle und das Problem dort benennen, wo es wirklich sitzt: Links!
Oder aber als einzige Abgeordnete ihrer Fraktion gegen eine Resolution stimmte, die den Genozid an den Armeniern vor über 100 Jahren durch das Osmanische Reich als Genozid bezeichnet und die deutsche Rolle des damaligen Kaiserreichs erwähnt. Eine Rolle, die man vielleicht als unterlassene Hilfeleistung bezeichnen könnte. Während Angela Merkel, Sigmar Gabriel und weitere der Abstimmung strategisch nicht ungünstig einfach fernblieben, stimmte Bettina Kudla dagegen. Im Interview mit MDR Aktuell erklärte sie dies unter anderem mit der „zu vagen“ Erklärung, was die deutsche Rolle bzw. die deutsche Verantwortung in diesem Verbrechen gewesen sei. Anders gesagt, sie blieb wie immer objektiv.
Eine andere verlässliche Größe der sächsischen CDU-Politik ist ein Mitglied des Dresdner Kreisvorstands: Dr. Maximilian Krah – ebenfalls für seine robusten Twitterkommentare bekannt. Für derbe, fast schon anpöbelnde Tweets, die ein Chapeau! auf aufrechten Konservatismus ausbringen; der auf der ersten Seite einer populären Suchmaschine mit dem Ausspruch zu finden ist: „Lange Wickelröcke sind unmoralisch, weil hässlich.“ Oder auf Facebook ganz frei heraus einen gewissen Adolf Hitler als Bild postet und sich beschwert, dass NS-Vergleiche ja immer schwierig seien, Frau Kramp-Karrenbauers Beitrag auf einem CDU-Parteitag aber ganz klar „Lingua Tertii Imperii“ gewesen sei. Dieser Dresdner CDU-Vorständler also, der nächstes Mal als Direktkandidat für den Bundestag antreten will, war schnell zur Stelle, als es darum ging, den Dresdner Oberbürgermeister vor der, tja, Lügenpresse? zu retten. Der Redakteur des Berliner Tagesspiegel, Matthias Meisner, fragte auf dem „Kurznachrichtendienst“ Twitter: „Warum eigentlich ist der Dresdner OBM Dirk Hilbert mit PEGIDA-Mitgründerin Kathrin Oertel befreundet?“
Das kann man schon mal fragen, wenngleich in Sachsen die Facebook-Profile vieler Politiker kaum ernsthaft zu ertragen sind, schaut man sich die dortigen Konversationen und geteilten Beiträge einmal näher an. Wo sich immer die Frage nach fehlendem politischem Instinkt oder knallharter Zielgruppenfokussierung aufdrängt. Jedenfalls war Dr. Maximilian Krah, immerhin Jurist, sehr schnell dabei und beantwortete die Frage einfach selbst, quasi ungefragt für den Dresdner OBM: „Weil er kein erbärmlicher Untertan ist.“
Richtig. Nun ist zwar nicht überliefert, was das Gegenteil eines erbärmlichen Untertanen sei, aber klar ist, wer mit Kathrin Oertel befreundet ist, die demnächst vielleicht für die AfD in Sachsen-Anhalt in der Fraktion arbeitet, kann so nicht gestrickt sein. Für die zwei bis drei sächsischen Politiker da draußen, die Facebook nutzen und nicht mit ihr befreundet sind, ist das natürlich ein schweres Los. Doch Krah sprach.
Szenenwechsel: Chemnitz.
Nico Köhler, der 2014 für die CDU in den Stadtrat der Stadt (oder statt?) der Moderne ziehen wollte, ist dort kein Unbekannter. Unter anderem war er oft in Einsiedel zu sehen, wo er kaum Abstand oder Kritik zu dortigen sogenannten asylkritischen Bürgerinitiativen pflegte. Oder in Lichtenau bei Chemnitz, wo er gar als Redner bei einer solchen „Bürgerbewegung“ auftrat. Sicherlich auch dadurch, hier und da beäugt, wurde er dennoch in Chemnitz zum Ortsvorsitzenden seines Verbands gewählt. Ende Mai dieses Jahres war damit aber Schluss, er wurde nicht wiedergewählt, anscheinend zog er daraus seine Konsequenzen. Er teilte nun mit, dass er die Partei, also die CDU, verlässt. Er begründete das vor allem mit dem „aktuell anhaltenden Kurs der Bundesregierung mit der regierenden CDU, den ich nicht für gut heiße und nicht mehr vertreten kann“. Er führte weiter aus, dass die „unter dem Deckmantel von Asylbegehren versteckte Zuwanderungspolitik“ zu Spannungen im Land führen würde. Politisch will er freilich weiter aktiv bleiben. Wir sind alle sehr gespannt, welcher Verein sich glücklich schätzen darf.
Szenenwechsel: Arnsdorf.
Eine Facebookseite namens „Arnsdorf 01477 Bürgerforum – überparteilich“ teilte in einem Beitrag vom 21. Mai mit (Rechtschreibfehler im Original):
Soeben, um 13.25 Uhr rastete ein Asylbewerber beim Netto Discounter in 01477 Arnsdorf aus. Er wollte seine Handykarte geladen haben, was man ihm dort nicht bieten konnte. Alles natürlich ohne Deutschkenntnisse. Daraufhin drehte er durch und drohte die Angestellten mit Eiern zu bewerfen. Die Marktleitung rief nach etwa 45 Min. die Polizei. Bereits zweimal zuvor im letzten halben Jahr, sind derartige Vorfälle von klauenden Georgiern oder ausflippenden Asylanten nun vorgekommen. Vor der Flüchtlingswelle, waren solche Verhaltensweisen bestenfalls mal durch Patienten der Klinik bekannt und sehr selten. Noch sind es nur wenige Asyl-Tagesgäste der Klinik die hier geimpft werden oder auf TBC untersucht. Wenige finden den Weg zum Nettomarkt.
Liebe Frau Bürgermeisterin
Machen sie das nicht.
Sonst gründen wir eine Bürgerwehr und nehmen das Recht in die Hand, uns selber zu verteidigen, so wie es das Gesetz vorsieht und erlaubt ist! Die Polizei kann uns, nach eigenen Aussagen, nicht mehr flächendeckend die Sicherheit gewährleisten die unsere Frauen und Kinder benötigen.
Wir werden uns zu schützen wissen.
Stehen sie für uns Bürger ein, oder gehen Sie!
Diese Facebook-Seite, die recht auffällig und ausufernd Beiträge eines Arvid Samtlebens teilt – der 2014 auf Listenplatz 14 der AfD für den sächsischen Landtag kandidierte, dort aber auf bis heute unerklärliche Weise wieder gestrichen wurde, weswegen Samtleben gegen die Landtagswahl gedachte zu klagen –, nennt sich also überparteilich und veröffentlicht vor allem, recht häufig und verlässlich, Rücktrittsaufforderungen an die SPD-Bürgermeisterin des Ortes. Am Abend desselben Tages kam es in Arnsdorf zu dem, was im zitierten Post angekündigt worden war. Denn in der zweiten Juniwoche wurde ein Handyvideo veröffentlicht, in dem man den besagten Asylbewerber, der Patient des Krankenhauses in Arnsdorf sein soll, an der Kasse des NETTOs stehen sieht. Er diskutiert mit zwei Angestellten, hält eine Flasche Wein in einer Hand und nach wenigen Minuten kommen vier schwarz gekleidete Männer schnurstracks in diesen Kassenbereich, greifen dem Mann augenscheinlich ohne viel Federlesens ins Genick und zerren den Geflüchteten Richtung Tür. Dort versucht er sich anscheinend zu befreien, was die selbsternannte Bürgerwehr mit dem sehr diplomatischen Ausdruck: „Was willst du? Was willst du?“ sowie „Du Schwein“ begleitet. Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit Schlägen und Fixierung auf einem Tisch im Eingangsbereich wird er hinausgezerrt und an einen Baum im Parkplatzbereich mit Kabelbindern gefesselt. All dem, sowohl dem Kampf im Kassenbereich als auch auf dem Parkplatz, schauen Dutzende Personen zu. Das Video endet mit der plakativen Frage einer unbekannten Frau: „Es ist schon schade, dass man eine Bürgerwehr braucht, oder?“
Die sodann gerufene Polizei findet alle Beteiligten auf dem Parkplatz vor, verweist die besagte Bürgerwehr des Platzes, nimmt aber keine Personalien auf, wohl aber von dem Gefesselten, den sie, übrigens zum dritten Mal an diesem Tag, zurück ins Krankenhaus bringt. Die eingangs erwähnte Facebook-Seite teilte dann noch die natürlich äußerst wichtige Information, auf welcher Station der Asylbewerber zu finden sei.
Dies wäre natürlich kein Beitrag über die CDU, wenn diese nicht mittun dürfte. So handelte es sich tatsächlich bei einem der vier Männer um einen CDU-Gemeinderat der Stadt Arnsdorf. Detlef Oelsner. Auf seine Teilnahme an dieser Aktion angesprochen, nannte er diese einen Akt von Zivilcourage. Sächsisch fast schon typisch, befand der lokale Polizeichef in Görlitz, dass der Asylbewerber „teilweise zu Recht“ festgehalten wurde. Dennoch laufen mittlerweile Ermittlungen und unter Umständen eben Verfahren gegen die Teilnehmer der sogenannten Bürgerwehr. Aber natürlich gibt es auch innerhalb der CDU so etwas wie Solidarität, sodass der am Anfang erwähnte Dr. Maximilian Krah schon wieder zur Stelle war und schrieb: „Die Sache ist juristisch eindeutig, […] Der Parteifreund hat Courage bewiesen!“ Was zu beweisen war!
„Im Auge des Krah“ herrscht noch Ruhe vor dem Sturm oder es stürmert schon? Wer weiß …
-> http://meyview.com/im-auge-des-krah/
… & beste Grüße
🙂
O.M.