Die ARD bekleckert sich erneut nicht mit Ruhm. Eine weitere Katastrophe im Mittelmeer, bei der mehr als 200 Opfer zu beklagen sind, wird Anfang August 2015 zwar mit dem üblichen Singsang der Betroffenheit anmoderiert. Gleichzeitig kommt eine verquere Logik zum Tragen: Nicht einmal davon lassen sich Fluchtwillige abhalten. Und die Bösen sind natürlich die Schleuser.
Nachdem Torsten Schröder als Moderator der Sendung seine Zuschauer wie üblich mit einem allzu freundlichen Lächeln begrüßt, schlägt er mit dem ersten vom Teleprompter abgelesenen Satz die entscheidende thematische Schneise: „Auch die neue Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer hält viele Menschen nicht davon ab, die Überfahrt nach Europa auf sich zu nehmen.“ Die Sachlage ist so klar wie bitter. Obwohl immer wieder Menschen sterben, die das Bollwerk Europa zu erreichen versuchen, reißt der Strom an Flüchtlingen nicht ab. Soweit der Informationsgehalt. Die Kausalität – und damit das suggestive Moment – dieses bedeutungsschweren ersten Satzes ist jedoch zynisch. Die ARD spielt mit einer unappetitlichen Ursache-Wirkungs-Relation, der sich flüchtende Menschen aus unerfindlichen Gründen nicht anpassen. Eigentlich, so die implizite Botschaft, müssten die Toten auf dem Mittelmeer Warnung genug sein, damit andere, auf dem afrikanischen Festland verharrende Menschen diesen Weg nicht auch noch einschlagen.
Und tatsächlich lässt die Sendung die Umstände der Flucht geflissen aus. Keine Silbe dazu, dass auf der anderen Seite des Meeres für sehr viele nichts geblieben ist und dass es tödlich enden dürfte, die alte (etwa syrische) Heimat nicht zu verlassen. Statt der bitteren Einsicht Raum zu geben, dass Menschen in größter Not an den Mauern Europas zerschellen, wird hier mit einer perfiden Umkehrung der Beweislast operiert. Zu blöd, will uns der erste Satz bedeuten, dass die Flüchtenden nicht erkennen, wie groß ihr Risiko ist und wie unwürdig Europa sie ersaufen lässt. Wenn sich die Brutalität des europäischen Grenzregimes verbreiten würde, dann, so die ARD indirekt, müsse doch die Flut an Flüchtenden abreißen. Dass sie es dennoch riskieren, gibt zwar Auskunft über die Zustände, welche die Menschen zur Flucht zwingen. Das allerdings kehrt die ARD mal eben unter den Teppich.
Der Fortgang der Berichterstattung ist schließlich kalkulierbar. Die Verhaftung einiger mutmaßlicher Schleuser erklingt als gute Botschaft, schließlich sind sie die Bösen, wenn nicht gar das Böse schlechthin. Die Amoralität der Fluchthelfer hervorzukehren, ist so wohlfeil wie doppelzüngig. Dass Schleuser mit der Not Geschäfte machen, ist wahrlich keine schöne Sache. Gelernt haben sie das allerdings bei ihrem Lehrmeister Kapitalismus.