Die Partygäste bei „Rock am Ring“ ließen sich nicht einschüchtern. Sie haben das gemacht, was eine freie Gesellschaft tun kann: weiter feiern. Dieser Umstand trieb Maximilian Krah, ehemals CDU und mittlerweile AfD, offenbar die Zornesröte ins Gesicht. Nur wenige Musikfreunde „kapieren“, dass die „Masseneinwanderung aus dem Orient und Afrika unsere bisherige Art zu leben nicht mehr zulassen“, kommentierte er erbost. Faktisch war zwar nichts passiert, und mittlerweile dringt ans Licht, dass es ein Fehlalarm gewesen sei. Dies ändert schließlich nichts an Krahs Hetze und zeigt deutlich, dass er, und mit ihm seine Parteikollegen, den kommunikativen Teil des Terrors selbst übernommen haben: Die einen töten Menschen, die anderen üben Druck auf die Gesellschaft aus – jeweils mit dem gleichen Ziel. Eine schräge, gefährliche Allianz.
Zugegeben: Über Ziele und Motive von Terroristen zu diskutieren, gehört in den Bereich der Spekulation. Einige Eckdaten allerdings lassen sich durchaus ableiten. Als Terror werden üblicherweise gewaltsame Akte bezeichnet, mit denen die öffentliche Sicherheit und die politische Debatte erpresst werden sollen. Über die Verbreitung von Angst und Schrecken wird das politische Klima beeinflusst, um bestimmte politische Entscheidungen zu erzwingen. Terror spielt also immer schon mit den medialen und politischen Reaktionen, die ihm folgen, er kalkuliert sie und setzt gezielt brutale Nadelstiche.
Dem islamistischen Terror, der für die letzten Anschläge verantwortlich gemacht wurde, ist bekanntlich die „offene Gesellschaft“, wie es Karl Popper bereits vor längerer Zeit nannte, ein Dorn im Auge. Wenn es diese Gesellschaft auch noch schafft, Muslime zu integrieren und damit faktisch die dazugehörige Religion zu modernisieren, ist das wohl nicht im Interesse von Leuten, die eine bizarre Art der Gottesfurcht streuen wollen. Der Terror hat, lässt sich daher vermuten, das Ziel, mithilfe von Verunsicherung und Angst den so genannten westlichen Lebensstil zu torpedieren und zugleich den Hass auf Muslime zu schüren. Auf dass sie ausgegrenzt und abgestoßen statt integriert und „verwestlicht“ werden.
Dies hätte, darf weiter spekuliert werden, zwei Effekte: Ein gewisser Teil der Muslime radikalisiert sich als Reaktion auf die Anfeindungen, die ihnen pauschal und ohne Tatbeteiligung entgegenschlägt und wechselt die Seiten. Ein vergleichsweise einfacher Rekrutierungsweg. Hinzu kommt, dass die offenen Gesellschaften sich immer weiter schließen und Migration unterbinden. Wer, wie der IS, ein Territorium zum Staatsgebiet machen will, braucht Menschen, die dort leben und unterdrückt werden können. Da passt es gut, wenn die europäischen Länder sich immer weiter verschließen und die Flucht vor den islamistischen Schärgen de facto unmöglich machen. Was nützt ein Islamischer Staat, wenn dort niemand wohnt?
An diesem Punkt kommen Krah und seine Scharfmacherkollegen ins Spiel. Sie übernehmen die Propaganda für die Terroristen, indem sie – pawlowsch könnte man sagen – den Text bespielen, der dem Terror erst seinen öffentlichen Effekt verleiht: Pauschale Verurteilung einer ganzen Religion für die Taten einiger Irrer (und für unzählige Dinge, die nicht passiert oder deren Täter unklar sind) und die unablässige Forderung, die Gesellschaft möge sich abdichten, angeblich um ihre Offenheit zu bewahren (der Selbstwiderspruch ist offenkundig). Kurz: Migration unterbinden und Muslime hassen.
Krahs Reaktion auf die Unterbrechung des Festivals zeigt diese perfide Logik ziemlich deutlich: Für die Diffamierung von Migration im Allgemeinen und Muslimen im Besonderen ist es restlos unerheblich, was tatsächlich vorgefallen ist. Weiter feiern, sich also nicht beirren lassen von Terrorwarnungen und dem Versuch, Angst zu streuen, sei, so Krah, der falsche Weg. Statt zu feiern, müsse man vor dem Terror in die Knie gehen und endlich das tun, was der Islamismus uns als Botschaft länger schon anträgt: Den vermeintlich Fremden ausgrenzen, sich ängstigen und bibbernd vor Sorge einschließen. Damit bedient Krah beide Ziele des Terrors. Einerseits müsse die freizügige Feierkultur abgeblasen und vom verängstigten und hasserfüllten Blick durch die Jalousie ersetzt werden. Wenn „der Westen“ andererseits noch lernen würde, die Muslime kollektiv zu hassen, wäre die Frontstellung klarer und das Heer potentieller islamistischer Attentäter um einiges größer. Man kann sich vorstellen, wie Islamisten so reaktionäre Tweets und Post abfeiern. Umgekehrt hatten AfD-Leute hin und wieder schon die Hüllen fallen gelassen und offen dargelegt, wie nützlich ihnen jeder Terroranschlag ist. (siehe hier)
Krah selbst wird solche Zusammenhänge nicht erkennen (wollen). Dafür ist er zu sehr vom pastellfarbenen Bild eines alten, herrlich reinrassigen deutschen Dorfs begeistert, das er absurderweise als demokratische und moderne Gesellschaft verkaufen will. (Dieses Bild, dem Krah und Kollegen nacheifern, hat, nebenbei bemerkt, mehr mit der Welt des IS als mit Poppers offener Gesellschaft zu tun.) Zudem sieht er im anschwellenden Angstdiskurs zu deutlich seine Zeit gekommen: Wenn die Angst nur groß genug sein wird, sind ihm Macht, Einfluss und ein gut dotierter Posten sicher. Dass er für den Terror einen Job erledigt, könnte allerdings als Gedankengang auch einfach zu komplex sein. Man weiß es nicht.