Frauke Petry hat es erneut mit einem kleinen Aufreger in die Zeitung geschafft, diesmal mit einem Vorhaben zur Sprachlenkung. Ihr Plan ist, so sagte sie in einem Interview mit der Welt am Sonntag, dass der Begriff völkisch „wieder positiv besetzt“ wird. An der Verwendung des Wortes hat sie ordentlich was zu mäkeln, sogar eine „Ächtung“ will sie erkennen. Warum sie es notwendig findet, den Begriff „wieder positiv“ zu besetzen, bleibt unklar, ebenso, warum sie den Begriff gegen eine „unzulässige Verkürzung“ verteidigen möchte.
In „wieder positiv“ steckt die Annahme, dass der Begriff mal flächendeckend eine positive Bedeutung hatte, und schon die ist mal falsch. Im Jahr 1913 zum Beispiel ist Franz Brümmers Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart erschienen. Dort taucht völkisch ganze acht Mal auf, und zwar an einigen Stellen in Zusammenhang mit Rassenkunde und -lehre, wie sie Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einzelnen gepflegt wurde. Das schlug sich dann in Buchtiteln wie Der völkische Kampf der Ostmarkdeutschen (1905) oder Der völkische Gedanke, das aristokratische Prinzip unserer Zeit (1906) nieder. Einem Dichter und Prosaisten wird im Lexikon eine „Jugendwarme Begeisterung für das Deutschtum“ attestiert, er hat die Sammlung Deutsch-Österreich, wach auf! – Völkische Geschichten und Kampflieder (1909) herausgegeben. In einem anderen Text des Lexikons heißt es über einen Zeitgenossen, dass er als „Hauptquelle völkischen Verfalls“ den Alkohol ausmachte. Welches Volk er da beim Verfall beobachtete, lässt sich denken, wenn man weiter unten im Eintrag liest, dass es sich bei der Person um den Mitherausgeber der Halbmonatsschrift für das Deutschtum unserer Zeit handelte, genannt Der Vortrupp.
Die Suche im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache ergibt, dass das Wort bis zum Ende des 19. Jahrhunderts keine Rolle spielte, dann einen steilen Anstieg im Gebrauch erfuhr, der nach der Mitte des 20. Jahrhunderts bis 2000 abebbte. Den Niedergang dokumentiert auch das Deutsche Referenzkorpus, das nach 1945 in geschriebenen deutschen Texten unter 29 Milliarden Wörtern nur 13.000 Mal völkisch findet. Am häufigsten als Adjektiv steht völkisch vor Beobachter, Nationalismus, Flurbereinigung, Ideologie, Musikerziehung, Gesamtbewegung, Rassismus und Weltanschauung. Adverbial steht es am häufigsten mit deutschnational, nationalsozialistisch, rassisch, nationalistisch, rassistisch, vaterländisch, antisemitisch, national und staatlich. Es befindet sich also in einer Wortumgebung, die Petry zumindest mit ihrer Wahrnehmung Recht gibt, dass völkisch nicht als unschuldiges, neutrales Wort verwendet wird. Den Eindruck konnte man bereits mit den Beispielen bei Brümmer gewinnen. Und dass der Nationalsozialismus da hineinspielt – diese Jahre, von denen auch die AfD so besessen ist, dass sie ständig davon redet, nicht mehr darüber reden zu wollen – liegt denn wohl auch irgendwie daran, dass völkisch und Volk miteinander verwandt sind.
Petry tut ganz naiv, wenn sie behauptet, völkisch sei nur ein Adjektiv. So wie politisch sich von Politik ableitet und soviel meint wie „die Politik betreffend“, sei völkisch dann also nicht mehr und nicht weniger „als das Volk betreffend“. Das stimmt nur leider nicht, völkisch bedeutet viel mehr: „Die Stimmung im Volk ist schlecht“ mag noch wie ein Satz aus einem Märchen klingen, den der höfische Berater dem König ins Ohr raunt. „Die völkische Stimmung ist schlecht“ meint dagegen etwas völlig anderes.
Nun erhalten Wörter ihre Bedeutung nicht aus sich selbst heraus, sondern aus dem Gebrauch. Und den machen die Sprecher. Wenn schon Volk kein neutrales Wort ist, kann völkisch nicht einfach so, quasi über Nacht positiv werden. Volk bezeichnet Menge, Masse oder Vielheit und besonders in Deutschland eine als in ethnisch-kultureller Hinsicht homogen imaginierte und abgrenzbare Gemeinschaft, die alles ausschließt, was nicht hineingehört; wenn es sein muss mit Gewalt. Vor allem dann, wenn sogenannte Fremde als Invasion oder Flut bedrohlich auf der Matte stehen. Schon gar nicht erhält ein Wort eine neutrale oder positive Semantik, bloß weil Petry es befiehlt. Warum das Thema der AfD-Chefin jetzt dermaßen unter den Nägeln brannte, wo sie das Wort laut eigener Aussage selbst gar nicht benutzt, erklärt sich vielleicht aus dem Wunsch nach Provokation, die ihren Namen in der Zeitung und den sozialen Medien hält.