WddB: Identität

In pathetischer Prosa dreht sich das Identitätskarussell seit einigen Jahren mit der Identitären Bewegung in eine weitere Pirouette hinein: »Unsere Generation ist das Opfer der 68er (…). Wir lehnen die Geschichtsbücher ab (…). Wir sind die Bewegung, die auf unsere Identität, unser Erbe, unser Volk und unsere Heimat schaut und erhobenen Hauptes dem Sonnenaufgang entgegengeht!« Im Abwehrkampf einer »Selbstabschaffung« Deutschlands gibt diese Gruppe die Wacht am Rhein − und bedient rassistische Ressentiments. Der Besorgtenrest tut es ihnen gleich.

Was Identität sein soll, bleibt nebulös. Dem Soziologen Jürgen Habermas zufolge ist sie »jene eigentümliche Fähigkeit sprach- und handlungsfähiger Subjekte, auch noch in tiefgreifenden Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur, mit denen sie auf widersprüchliche Situationen antworten, mit sich identisch zu bleiben«. Das Wort »eigentümlich« ist bezeichnend: Erklären kann Habermas nicht, wie Identität funktioniert. Und doch hat sie sich als fester Ort des Egos, als eine Art Ichbewusstsein durchgesetzt. Was aber soll »Ich bin mit mir selbst identisch« bedeuten?

In den 1980ern kam die Identität im politischen Feld ins Spiel: Als kollektive Identität füllt sie seither jene gemeinschaftsstiftende Lücke, die mit dem Ende des Kalten Kriegs entstanden ist. Immer dann, wenn eine Krise der Identität angenommen wird, kocht das Konzept vom Identitätskollektiv hoch. Im Festhalten des Einzelnen am größeren Rahmen wird nie dezidiert deutlich, was Identität eigentlich ist. Findet sich die Horde unter ihrer Standarte zusammen, fühlt schon jeder, was Sache ist.

Kulturelle Identität wird über große Erzählungen gestiftet: zum Kulturgut kanonisierte Literatur und Musik, zum Idealtyp stilisierte Landschaften wie der Deutsche Wald, Monumente wie das Brandenburger Tor, Rituale, Symbole, Feiertage (Weihnachten). Es geht um die Herstellung von Tradition durch einen Gründungsmythos. So gilt die Schlacht im Teutoburger Wald als Geburtsstunde der Deutschen, ungeachtet dessen, wie absurd es ist, von germanischen Stämmen eine Kontinuität ins Heute abzuleiten.

Den Prägungen seiner Kultur kann man nicht entrinnen, das ist die Botschaft. Waren es mal Blut und Gene (Volksgemeinschaft), die über einen Menschen bestimmen sollten, so wird er nun über seine Kultur definiert. Diese entlässt ihn ebenso wenig wie ehedem die Rasse. Da, wo man herkommt, ist man derart verwurzelt, dass man sich von den lokalen Eigenheiten, Denkweisen, Einstellungen, Talenten nie mehr lösen kann − so die Vertreter dieses Konzepts. Der Einzelne wird übers Kollektiv definiert: Kultur als Korsett. Sie ist ein Brandzeichen, das sich nicht abstreifen und den Anderen immer fremd sein lässt.

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