WdbB: Volk

volkVom Volk sprechen heißt, eine Kampfzone zu betreten. Gerade mit dem abgenutzten Spruch »Wir sind das Volk« schreibt sich in die Debatte eine gefährliche Geste der Universalisierung ein, steckt in ihr doch die falsche Annahme, für alle, für das ausgeschlossene Ganze des Volkes zu demonstrieren. Das verleiht den besorgten Bürgern ihre Aggressivität: Sie glauben vermutlich eher instinktiv als absichtlich, auch alle anderen Volksgenossen zu repräsentieren und werden umso wütender, wenn diese sich nicht einfach vereinnahmen lassen.

Eigentlich liegt das Problem des Volkes, genauer: das Problem des Begriffs, ein Stück tiefer, weil die Frage zu klären wäre, wer genau das Volkeigentlich ist und wen der Begriff ein- oder ausschließt. Im besorgten Vokabular sind die Dinge simpel: Zum Volk gehören alle, die man in alter völkischer Manier zur gedachten Abstammungsgemeinschaft zählt. Volk hat auch noch eine andere Kontur. Die Demokratie etwa, die ja gern mit Volksherrschaft übersetzt wird, ist eine schlechte Art der Regierung, argumentierte einst Platon. Das Demos war eine Vielheit, eine Masse von Menschen in einem Verwaltungsbezirk, die vom Geschäft der guten Regierung nichts verstünden − zu unterschiedlich, egoistisch und folglich ungerecht. In Platons Schatten galt die Regierung der Vielen lange Zeit als schlecht, weil sie nicht für das Gemeinwohl eintreten könne. An der berühmten Wiege der Demokratie hatte niemand eine Idee davon, dieses Demos als biologisch verknotete Einheit auf einer angeblich für sie immer schon reservierten Scholle zu verstehen. Vielmehr stand das Volk für die Masse der männlichen und freien Stadtbewohner, die nicht zum Adelsstand gehörten und denen kein gottgegebenes oder natürliches Privileg zukam. Das Demos in der Demokratie kannte im alten Griechenland keine ethnische oder nationale Grenze. Im deutschen Sprachraum tauchte das Wort Volk erstmals in jener Zeit auf, die Mittelalter genannt wird, und bedeutete soviel wie Menge. Es ist verwandt mit voll, viele oder Pulk. Auch hier spielte eine Logik der Abstammung noch keine Rolle. Vielmehr setzte sich das Volk aus den infamen Menschen zusammen, aus den Dorf- und Stadtbewohnern ohne staatstragende oder klerikale Position. Es war eine soziale Schicht ohne Rang und Namen. Gott hatte für diese Menschen keinen bedeutenden Platz vorgesehen. Das Volk umschrieb die vermeintlich indifferente Menge der Schäfchen, die von Zeit zu Zeit Widerstand gegen ihre Hirten, gegen Staat und Klerus, leisteten.

Noch heute finden sich Spuren eines, wenn man so will, sozialen Volksbegriffs: Das Attribut populär, das vom lateinischen populus stammt und als Popkultur keine ethnischen oder nationalen Grenzen kennt; der Plebs, das niedere und ungebildete Volk, das sich dem Klischee nach überall finden lässt; oder der Pöbel, ein Wort, das ebenfalls auf einen Mangel an Bildung und Kultur abstellt, ohne Volksgruppen zu unterscheiden.

Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nahm ein biologistisches Denken den Volksbegriff auf und bettete ihn in eine Abstammungslogik, die dem Phantasma einer geschlossenen, natürlichen Gemeinschaft nachjagte. Der Kurzschluss von Volk und Abstammungfunktioniert bis heute nur vor dem Hintergrund von Rassentheorien, weil nur so eine biologische Einheit beziehungsweise eine natürliche Ordnung angenommen werden kann. Seither überlagert das nationale Volk, die vorgestellte biologische Gemeinschaft den älteren Begriff, der mit Masse, Vielheit und Widerstand »gegen die da oben« verbunden war. Die besorgten Bürger schließlich formieren sich um einen biologistischen Begriff von Volk und spielen die ältere Bedeutung nur aus, wenn es gerade passt: Wenn es gegen »die da oben« geht und man sich als Ausgebeutete und Abgeschobene inszenieren will.

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  1. Das Zentralorgan der Neuen Rechten, Die JUNGE FREIHEIT (Nr. 14, S. 21), nimmt sich in der aktuellen Ausgabe Eures Wörterbuches an — dachte, dass interessierte Euch.
    Fand den Beitrag erst mal nicht völlig uninteressant – Eure Idee wird jedenfalls gelobt.
    Aber na ja , schaut selbst.
    Den Einwand, dass Ihr nicht ganz objektiv seid, würde ich jedenfalls teilen.

    1. Danke für den Hinweis. Dass wir nicht objektiv sind, ist eine ziemlich erwartbare Kritik, wobei mir immer wieder unklar ist, was genau das heißen soll bzw. wie objektive Kritik aussehen soll. Ein solcher Einwand ließe sich nur ziemlich konkret am einzelnen Argument festmachen. Dafür muss ich dann erst einmal in die JF schauen.

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