Dass des deutschen Bratwurst zum Phallussymbol taugt, ist keine Neuigkeit. Unzählige Werbespots spielen mit der Überblendung von Gemächt und Grillgut – zumeist in Verbindung mit Fußball und knapp bekleideten Frauen. Das ist für sich genommen schon lästig und stereotyp. Was allerdings das Vorzeigeexemplar des dämlichen deutschen Prolls, Atze Schröder, mit Wiesenhof-Würsten veranstaltet, geht noch einen Schritt weiter: Er feiert Vergewaltigungen ab.
Die Aufregung war groß, als es in der Silvesternacht in Köln zu Übergriffen kam. Was auch immer genau passiert sein mag: Der deutsche Volkszorn schäumte über und überschüttete das Feindbild des grabschenden Ausländers mit Hass und Gewaltphantasien. Nichts schien wichtiger als der Schutz der Frauen.
Weit weniger Beachtung wird einem kleinen Werbespott der Firma Wiesenhof zuteil, indem Atze Schröder, die lebende Karikatur des grillenden deutschen Stammtischproleten, auf die „längste Wurst des Sommers“ aufmerksam macht. Selbstredend im Trikot der Fußball-Nationalmannschaft. Der ganze Spot, der bereits Ende März veröffentlicht wurde, trieft vor plattem Stereotyp und bedient sich eines Humors, der selbst Mario Barth das Gefühl der Fremdscham einhauchen müsste.
Was Schröder allerdings dann vom Stapel lässt, gibt dem Spot eine neue Kontur und deutet die ganze Verlogenheit der Debatten um sexuelle Übergriffe an: Nach dieser Wurst, fährt Schröder dämlich grinsend fort, „müssen Gina und Lisa erstmal in die Traumatherapie“.
Viel Deutungsspielraum lässt dieser Satz nicht. Ganz offensichtlich spielt Wiesenhof hier auf den vom Boulevard geliebten Fall von Gina-Lisa Lohfink an, an deren mutmaßlicher Vergewaltigung sich die Fans von schlüpfrigen C-Promi-Geschichten schon eine Weile aufgeilen. Dass es sich im schnöde abgespulten Text um „Gina und Lisa“ handelt, spielt keine Rolle.
Selbst gänzlich ohne diese Anspielung ist der entsprechende Satz eine unwürdige Frechheit. Traumatherapien sind, wie der Name sagt, für traumatisierte Menschen; für Menschen also, denen wirklich Schlimmes widerfahren ist. In Kombination mit dem deutschen Schweinefleischphallus namens Wurst ist die Sache unzweideutig: Atze Schröder lästert über Opfer sexueller Gewalt und Wiesenhof ist überzeugt, damit Kunden anzusprechen und den Absatz zu erhöhen.
Mitten im medialen Mainstream wird also mit dem offensichtlichen Bild von Vergewaltigungen Grillgut verkauft, damit der geneigte deutsche Mann auch eine Wurst in den Händen hält, wenn er sich über die grabschenden Ausländer erregt. Die Psychoanalyse nennt das Projektion.
Edit (25. Juni, 17:42): Wenige Stunden nachdem der Beitrag veröffentlicht wurde, hat Wiesenhof den Spot aus dem Netz genommen. Wohl zu viel Spott für einen Spot … Und hier gibt es ihn immer noch: https://t.co/8IXeXkb7gB.
Comedians können wenn es geistreich und gut gemacht ist, viele Themen aufgreifen und diese auch humoristisch verarbeiten.
In dem oben genannten Fall war es leider nur Platt und billig.
Das war schon schlimmer als fremdschämen
Es ist ja inzwischen bekannt, daß der Spot bereits vor einem Jahr gedreht wurde. Da gab es den Vergewaltigungsfall noch gar nicht, der Spot kann sich also gar nicht auf den Vergewaltigungsfall beziehen, sondern lediglich auf die mediale Präsens einer Frau, die ein selbstbewusstes Sexualleben auslebt.
Der Begriff „Trauma“ steht in seiner ursprünglichen Bedeutung für eine körperliche Verletzung. Meist verbindet man mit diesem Begriff nur das Schleudertrauma, aber eigentlich steht Trauma für jede Verletzung, die einer intensiven Behandlung bedarf. Eine Traumatherapie besteht darin, eine schwerwiegende Verletzung durch entsprechend komplizierte Maßnahmen zu heilen.
Die Kunstfigur Atze Schröder spielt in dem Spot also darauf an, daß eine CIS-Frau, die gerne und intensiv Hetero-Sex hat, versucht sein könnte, diese Wurst als Dildo oder Vibrator zu benutzen, und daß dies zu schwerwiegenden Verletzungen führen würde.
Die Autorin Charlotte Roche hat vor einigen Jahren Lesungen gehalten über Verletzung, die sich Männer zuziehen, wenn sie einen Staubsauger zur sexuellen Befriedigung benutzen. Das ist sicherlich auch kein appetitliches Thema, und man kann sicherlich auch darüber diskutieren, ob damit Stereotypen bedient werden, eine öffentliche Empörung gabe es darüber jedoch nicht.
Nun geht es dagegen um eine Frau, die möglicherweise ein ungeeignetes Hilfsmittel (eine Bratwurst) zur sexuellen Befriedigung verwenden könnte, und sofort gibt es eine öffentliche Empörung.
Gelten CIS-Frauen auch im Jahr 2016 immer noch als quasi asexuelle Wesen, die sich niemals ohne realen Mann befriedigen würden, und die auch niemals aus sexueller List auf dumme Ideen kommen würden? Der Mann ist die Unvernunft und Sexbesessenheit in Person, die Frau hingegen bleibt immer sittsam und keusch? Ist es das, was die Kritik an dem Werbespot ausdrücken will? Ein Rollback in traditionelle Geschlechterrollen?
Kleine Korrektur: Der mutmaßliche Vergewaltigungsfall liegt schone ein ganze Weile zurück und wird auch schon lange diskutiert. Das Video wurde zudem erst am 30. März 2016 veröffentlicht. Zudem sind Traumata in den seltensten Fällen Folge von Selbstverletzungen. Insofern stimmt Ihre Einordnung nicht so ganz.
Es ist definitiv kontraproduktiv, der ganzen Sache so viel Aufmerksamkeit zu geben. Die ganze Sache ist a) noch in einem offenen Verfahren (und damit nicht wirklich auflösbar) und B) mMn. ganz offensichtlich ein großangelegter Versuch, diverse Person ins öffentliche Licht zu rücken.
Das Frau Gina-Lisa kein Kind von Unschuld ist, zeigen diverse Internetvideos, die teilweise im Pornobereich angesiedelt sind.
Ganz davon abgesehen, ist der Spot wirklich ziemlich niveaulos….
Darum geht es doch gar nicht. Auch ohne den Bezug zur Person Gina-Lisa feiert Atze Schröder (und mit ihm Wiesenhof) den Umstand, dass mit der entsprechenden Wurst Frauen zur Traumatherapie müssen. Das allein reicht schon für einen kleinen Skandal, vor allem in Bezug zur Aufregung und zum vermeintlichen Schutz der Frauen nach den Ereignissen in Köln. Wer Gina-Lisa ist und was da nun los war, ist nebensächlich.
Da hast du Recht.
Trotzdem finde ich es auch nicht wirklich angemessen, gerade diese Person und das dazugehörige Verfahren als Aufhänger für wirklich gerechtfertigte Kritik zu benutzen.
UND DAS IST SCHEISSEGAL IN BEZUG AUF SIE ALS OPFER EINER VERGEWALTIGUNG. Wie um alles in der Welt MR/MRS Europa kommen Sie auf den absolut idiotischen Gedanken, dass eine Frau, die an anderer Stelle Sex hat und dieser im Web verfügbar ist, kein Recht auf ein „NEIN“ hat? Was soll der Scheiß? Und wenn ich im alleekürzesten Röckchen rumlaufe, NACKT am Strand liege oder hundert Pornos gedreht habe, ein NEIN ist ein verdammtes Nein.
Frau Splichal,
wenn es hier eine bewiesene Vergewaltigung gäbe, würde ich Ihnen natürlich Recht geben. Allerdings muss sich Frau Lohfink zunächst wegen Falschaussage verteidigen. Es ist eben nicht alles nur A oder nur B. Ich verstehe nicht, wie man ohne Kenntnis der genauen Situation bzw. ohne objektives Urteil ein Opfer festmachen kann.
Das ist für Seite A ODER B in jedem Fall diskriminierend. Zweierlei Maß und so…
Für den Beitrag und für die Bewertung des Werbespots spielt der konkrete Fall keine Rolle. Wiesenhof und Schröder spielen auf eine Traumatisierung an, die man sich im Regelfall nicht selbst zufügt. Mit einer Wurst. Das reicht, um ethisch völlig neben der Mütze zu liegen, ein machistisches, chauvinistisches Männerbild zu verherrlichen und zugleich sexuelle Gewalt zu legitimieren (man wird sich nicht selbst mit einer Wurst traumatisieren). Vor allem vor dem Hintergrund der heiß gelaufenen Debatten um Übergriffe nach Köln mitsamt der Stigmatisierung ganzer Menschengruppen ist das krass und zeigt die Verlogenheit diese „deutschen“ Diskurses.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn man aktuell bei Google „Wiesenhof“ eingibt, kommen erst einmal nur Ergebnisse zum shitstorm um den Werbespot „Gina und Lisa“ mit Atze Schröder.
In dem Spot wird nicht nur billiger sexistischer Altherrenwitz präsentiert, sondern es werden zusätzlich Anspielungen auf eine Person gesetzt, die in der Öffentlichkeit zwar nicht den besten Ruf genießt, deren Würde durch den Spot vom Wiesenhof jedoch in bemerkenswerten Weise angegriffen und herabgesetzt wird.
Ich hätte zu der Sache einige Fragen:
1.
Atze Schröder hat sich öffentlich nicht nur entschuldigt, sondern auch versprochen, eine Buße in der Sache zu leisten. Wiesenhof hat sich nach dem shitstorm ebenfalls entschuldigt. Von einer selbst auferlegten Buße wie bei Atze Schröder habe ich aber nichts gelesen. Daher möchte ich anfragen, ob durch Wiesenhof noch ähnliche Maßnahmen vorgesehen sind,
2.
Mich würde interessieren, wer das Konzept für den Werbespots entwickelt hat, insbesondere, wer auf die Idee gekommen ist, die Passage „Gina und Lisa“ einzufügen. War das die hauseigene Werbe-Abteilung, eine externe Agentur oder Atze Schröder als beauftragter Künstler?
3.
Weiter würde ich gerne wissen, wer insgesamt bei der Entwicklung, Produktion und Freischaltung bei Weisenhof und bei externen Dienstleistern beiteligt war, ob es bei den Beteiligten auch Widerstand gegen den Spot in der veröffentlichten Version gegeben hat, und wer letztlich die Verantwortung für die In-Auftrag-Gabe und für die Freischaltung des Spots übernommen hat.
4.
Hat einer der für Konzept, Produktion und Freigabe des Spots Verantwortlichen persönliche Konsequenzen zu ziehen, und wenn ja, welche?
5.
Hat eine oder haben mehrere der verantwortlichen Personen für den Spot Töchter, und wären Sie bereit, mir die Vornamen dieser Töchter zu nennen? Sofern sich unter den verantwortlichen Personen Frauen befinden, wären Sie bereit, mir die Vornamen dieser Frauen zu nennen?
Für Ihre Mühe in der Sache schon jetzt besten Dank!
Mit freundlichen Grüßen
R.S.
Wir vermuten mal, dass das ein Brief an die Firma Wiesenhof ist, den Sie hier der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Bis auf die Vornamen, die eher nicht von Belang sind, würden uns die Antworten auch interessieren.
O.k. der Spott ist geschmacklos Aber kein Grund hysterisch zu werden! Entspannt euch!
Wer bei sowas noch beschwichtigend ‚entspannt euch!‘ schreiben kann, hat im Laufe seines Lebens eindeutig die Empathie auf der Strecke gelassen. Bei Witzen über traumatisierte Menschen nicht aus der Haut zu fahren, ist mir persönlich jedenfalls nicht möglich.
Spannend, dass Sie gerade von „hysterisch“ sprechen. Hier ein kleiner Auszug aus Wikipedia zum Eintrag „Hysterie“:
Die Hysterie gilt als die älteste aller beobachteten psychischen Störungen. In den antiken Beschreibungen der Hysterie in altägyptischen Papyri wie bei Platon und Hippokrates wird die Ursache der Krankheit in der Gebärmutter gesehen. Konzeptionell ging man davon aus, dass die Gebärmutter, wenn sie nicht regelmäßig mit Samen (Sperma) gefüttert werde, im Körper suchend umherschweife und sich dann am Gehirn festbeiße. Dies führe dann zum typischen „hysterischen“ Verhalten.
Dieser Vorstellung entsprechend galten als anfängliche Behandlungsmethoden noch im frühen 20. Jahrhundert unter anderem der Rat, unverheiratete Hysterikerinnen zu verheiraten oder die Patientin zum hysterischen Paroxysmus, sprich dem Orgasmus, zu bringen und sie dadurch zu „beruhigen“. Anfangs wurde den Patientinnen von den behandelnden Ärzten mit manuellen Massagen des Genitalbereichs zur Beruhigung verholfen, später entwickelten sich verschiedene mechanische Möglichkeiten (siehe: Vibrator).
Sie wissen nicht zufällig, was ein Trauma ist, nein?
Das ist eine seelische, psychische Verletzung, die von allein nicht heilt und für die Opfer oft das ganze Leben verändert – mitunter zerstört, das Ende ist dann Suizid. Das bedeutet Trauma. Und sich darüber lustig zu machen, das finden Sie so gut, dass eine Argumentation dagegen hysterisch ist? Nun, ich denke, da sind noch mal drei Gedankenschleifen angebracht. Ganz entspannt.