Politische Positionen haben es mitunter in sich. Es geht, wie der Begriff „Position“ bereits andeutet, um Standpunkte, bisweilen sogar weltanschauliche, über die heftig gestritten werden darf. Häufig reißt der Gesprächsfaden, wenn ideologische Wegmarken, Fixpunkte und vermeintlich irreduzible Glaubenssätze ins Spiel kommen, die einer politischen Position Halt geben sollen. Wenn etwa Evangelikale über Frauen und Nazis über Schwule reden, wird die ideologische Mauer sichtbar. Ein geradezu klassisches Mittel, um Positionen und ihre Fundamente zu erschüttern, besteht (besser: bestand) darin, ihre Widersprüche und Paradoxien offenzulegen, mit welchem Erfolg auch immer.
An Ideologien, festen Glaubenssätzen und Weltanschauungen perlen solche Einwürfe traditionell ab. Sie werden mit dem Verweis auf die eigene „Meinung“ (griechisch doxa) abgebügelt, was zumeist das Ende einer halbwegs vernünftigen Debatte bedeuten dürfte.
Gegenwärtig allerdings ist ein neues oder zumindest verschärftes Phänomen zu bestaunen: Widerspruchsresistenz. Wie offensichtlich unlogisch oder eben widersprüchlich die politischen Argumentationen auch sein mögen, sie werden häufig genug geglaubt und weitergetragen. Alte, ideologische Glaubenssätze scheinen gar nicht mehr nötig. Noch die offensichtlichste Kontradiktion hallt von den *Gida-Bühnen, ohne dass die Meute irritiert wäre oder Zweifel hegen würde.
Zwei Beispiele, die viel zu einfach sind, um sie ausgiebig zu beschreiben : Da blickt ein nationalbewegter Bürger in die Dresdner Morgenpost, die von vermeintlichen Verbrechern mit „südländischem“ Aussehen berichtet, und murmelt zu seinem Nachbarn: „Siehst Du, das mit den kriminellen Asylanten hat die Lügenpresse mal wieder verschwiegen.“ Die Presse schreibt also, wovon sie schweigt. Einen Angriff auf einen Pegida-Teilnehmer in Dresden am 19. Oktober habe dieselbe Presse größtenteils ignoriert oder vertuscht, fabulierte der Aluhutträger Jürgen Elsässer unlängst. Dabei hatten alle relevanten sächsischen Medien (Bild, DNN, LVZ, MoPo usw.) umgehend berichtet und waren sogar auf Dramatisierungen eingegangen. Elsässer selbst weiß höchstwahrscheinlich vom benannten Vorfall ebenfalls aus genau dieser Presse, die darüber nicht berichtet habe.
Mit stattlichen 47 Leuten steht die OfD im beschaulichen Markkleeberg bei Leipzig, umringt von etwa 20-mal so vielen Menschen, die anderer Ansicht sind. Das hindert die Gruppe (genauso wie die anderen Gruppen, die wöchentlich das Gleiche kundtun) allerdings nicht daran, mit dem zur Farce mutierten Schlachtruf „Wir sind das Volk“ zu behaupten, dass sie eigentlich und in Wirklichkeit für eine Mehrheit, wenn nicht gar für alle spricht. Nichts anderes besagt der Spruch: Wir stehen hier im Namen des Volkes, das, so die Kontur des Begriffs, immer in der Mehrheit sein muss. Sonst wäre es nicht das Volk.
Der blanke Unsinn dieser und vieler anderer Statements der Spaziergänger ist seit Monaten Gegenstand hämischer Kommentare und beißenden Spotts. Und dennoch: Irgendwie haben wir es mit einer neuen Qualität politischer Kommunikation und Selbstaffektion zu tun, die üblicherweise kleinen Gruppen von Verschwörungstheoretikern vorbehalten war. Oder ist Verschwörungstheorie tatsächlich salonfähig geworden?
Zum Vergleich: Christliche Theologen unzähliger Generationen, die ebenfalls in einem vorsichtig formuliert brüchigen Glaubenszusammenhang verhaftet sind, bemühen sich schon lange, offensichtliche Widersprüche ihrer Lehre aufzuklären. Das Theodizee-Problem etwa, der Umstand also, dass Gott zwar allmächtig und gut sei und das Leiden dennoch in der Welt ist, war Gegenstand unzähliger Schriften und Debatten. Obwohl die Lösung dieses Rätsels immer noch (und wahrscheinlich noch recht lange) auf sich warten lässt, bleibt zu konstatieren, dass der Widerspruch selbst zumindest Beachtung findet. Der geneigte *Gida-Bürger würde vermutlich sagen: „Ach, egal, Schuld sind auf jeden Fall die Asylanten.“
So etwa debattieren die Eingeborenen, jedenfalls teilweise. Sie haben sich eine ungeahnte Resistenz gegen noch so auffällige Widersprüche zu eigen gemacht, an der noch jede sachliche oder vehemente Kritik abgeprallt ist. Das hinterlässt Ratlosigkeit und den Gedanken, dass nur noch Aushalten und Abwarten funktionieren kann. Schließlich scheint das Problem nicht eigentlich vernünftig, also mit Mitteln des Verstands lösbar. Vielmehr ist es psychologisch – und üblicherweise hat nur die Psychoanalyse Zugang zu Verleugnung und Verdrängung. Diese Kluft allerdings lähmt den politischen Protest und kategorisiert einige Menschen als mehr oder minder krank oder gestört. Nun lassen sich zwar Rückschlüsse auf gesellschaftliche Konstellationen finden, etwa dass eine Gesellschaft des überzeichneten Individualismus diejenigen in eine neue Volksgemeinschaft treibt, die am medialen Ideal – schön und reich – wieder und wieder scheitern; oder dass die Austeritätspolitik die sozialen Strukturen austrocknet und sich die Abgehängten neue bzw. ganz alte braune Wege suchen. Eine Antwort auf die konkrete Frage: Wie umgehen mit diesen Leuten? erschließt sich dennoch nicht.
Foto: Holger.Ellgaard