Minecrafts Blind Date mit der Gesellschaftskritik
Im Sommer 2015 stieg die dritte Ausgabe von Varo, so etwas wie die deutsche Meisterschaft in Minecraft, und macht mit einem fragwürdigen Verweis auf sich aufmerksam. Den älteren Jahrgängen dürfte das nicht viel sagen, obwohl Minecraft das aktuell wohl beliebteste Computerspiel wenigstens hierzulande ist. Es hebt sich von eigentlich allen anderen Spielen ab, weil es zwar dem Ego-Shooter-Prinzip folgt, aber nichts auf Realität und deren Verdopplung im Spiel gibt. Stattdessen durchforsten die Spieler einen Pixelwald und bauen mit Blöcken grobe Dinge. Die Spieltiefe und Komplexität ist dafür beachtlich. Gepaart mit reichlich Möglichkeiten, selbst Server, Welten und Spieltypen zu kreieren, wird das Minecraft-Universum durchaus seinem Ruf gerecht.
Dumm nur, dass die durchaus spannende Pixelschlacht Varo, die in vielen Einzelfolgen bei Youtube „übertragen“ wird, mit einem Verweis auf die „Hunger Games“ aus der Trilogie „Die Tribute von Panem“ beworben, bisweilen sogar enstprechend benannt wird. Varo sind die „Minecraft Hunger Games“. Der sachliche Grund dafür ist einfach: Die Regeln des Events folgen in groben Zügen jenen, die der Plot des Films vorgibt: In einem begrenzten Raum kämpfen alle gegen alle, und wer als letztes noch lebt, hat gewonnen. Die Unterschiede allerdings reißen einen Graben, der das eine vom anderen so tief trennen sollte, dass ein namentlicher Bezug mindestens verwunderlich ist.
In der Filmreihe sind die Spiele ein obszönes, blutiges Spektakel, das zur massenmedialen Stabilisierung einer diktatorischen Macht aufgeführt wird. Das reiche Zentrum (das Kapitol) einer gewaltsam verwalteten Welt lost jährlich Vertreter der verarmten Bezirke und lässt sie in den Gladiatorenspielen aufeinander los. Die Erwählten sind Tribute, und das in alle Regionen live übertragene Event dient als perverse Erinnerungskultur an die letzten Aufstände und gleichzeitig als Abschreckung und Belustigung. Die Filmreihe ging vergleichsweise offensiv mit einer gesellschaftskritischen Note an den Start. Der Plot hat zwar futuristische Züge, reflektiert allerdings den Stand der Dinge in zugespitzter Form: Reiche Zentren leben auf Kosten armer Regionen, unterjochen sie mit Waffengewalt und garnieren ihre Machttechnologien mit massenmedialen Inszenierungen. Donald Sutherland, der in der Trilogie den Bösewicht und Unterdrücker mimt, gibt in einem Spiegelinterview eine „politische Qualität des Stoffs“ zu Protokoll, „mit der man junge Menschen mitreißen, vielleicht sogar politisieren kann.“ Die „Hunger Games“ sind in diesem Rahmen bitterer Ausdruck eines politischen Kalküls, das mit der Verdopplung der Realität im Medium ein bitteres Abbild gegenwärtiger Gesellschaften liefert.
Der niedliche Pixelkampf Varo, den gutbürgerliche Youtube-Stars vor hunderttausenden Fans im Netz austragen, hat damit wahrlich wenig zu tun. Die namentliche Anleihe beim Film ist offensichtlich harmlos und im besten Sinn naiv. Sie verrät allerdings einiges darüber, welchen tatsächlichen Effekt eine politische Kritik gegenwärtiger Verhältnisse hat, die über Kinoleinwände flimmert: Keine. Das gesellschaftskritische Potential des Kinos ist eine altes Thema, das jedoch – so scheint es jedenfalls – gerade seine letzten Atemzüge vollbringt. Der heißgelaufene Motor der Massenmedien ruft eine ungeahnte Beliebigkeit wach, in deren Folge jede weitere Drehung den Effekt der vorigen zunichte macht. „Nachrichtenhochdruck“ hat es Christoph Türcke genannt; ein permanentes Wechselspiel Debatten und Kritiken, von Interventionen und Problematisierungen. Was bleibt ist restlose Beliebigkeit.
Die „Hunger Games“ werden bewusst blutrünstig eingefangen und verdoppeln gewissermaßen über die Darstellung ihrer medialen Inszenierung ihren politischen Effekt. Wenn diese bittere Gegenwartskritik Modell für ein paar pixelschubsende Teeniestars steht, braucht man nicht weiter über das Kino und seine politischen Erweckungsmomente zu philosophieren.