Nach dem Naziangriff auf Connewitz #le1101 hat der Kreisvorstand der CDU Leipzig fünf Forderungen erarbeitet und aufgeschrieben. Sie richten sich an niemanden und sind auch sonst völlig absurd. Wer die Forderungen ernstnehmen will, muss an der Zurechnungsfähigkeit der beteiligten Personen zweifeln. Diese Pressemitteilung ist eine inhaltliche, sprachliche und logische Offenbarung.
Vorangestellt ist eine Erklärung zur Notwendigkeit der Mitteilung:
Die Leipziger Union sieht sich seit ihrer Ankündigung, nicht an der Lichterkette teilzunehmen, stetigen Anfeindungen aus dem linken Lager ausgesetzt. Insbesondere die Grünen haben mit einem Nazi-Vergleich auf Twitter für Empörung gesorgt.
Natürlich war die Ankündigung der CDU, bei der die Buntestagsabgeordnete Bettina Kudla wiederum ganz vorn dabei war, weit mehr als eine Absage an die Aktionsform Lichterkette. Es ist nämlich ganz einfach: Kudla gehört dem rechten Lager innerhalb der CDU an und hat mit der „Asylkritik“ der *Gidas wahrscheinlich deutlich mehr Schnittmengen als mit den Inhalten des Protestbündnisses. Kudla zur LVZ:
Insbesondere die Forderung nach einem Europa der offenen Grenzen ist kontraproduktiv.“ Ursache der aktuellen Asylsituation sei, dass die EU-Außengrenzen nicht mehr geschützt würden,
so Kudla. Sie will weniger Flüchtlinge und die Grenzen dichtmachen. Deshalb baut sie schöne Sätze:
Wirksame Integration kann nur gelingen, wenn die Gesellschaft zahlenmäßig nicht torpediert wird.
Die Gesellschaft wird also zahlenmäßig torpediert. Das bedeutet zwar ungefähr das Gegenteil von dem, was Kudla vermutlich sagen will, aber mit Sprache hat man es offensichtlich nicht so in der Aufregung. Bleibt der Vorwurf des Nazivergleichs. Die Leipziger Grünen gehen davon aus, dass sich die Leipziger CDU auf einen Tweet des offiziellen Accounts der Partei bezieht:
Jetzt ist das natürlich kein Nazivergleich, wie in der Pressemitteilung behauptet, sondern eine Aussage über das Verhältnis von CDU und Neonazis. Böse Zungen könnten behaupten, dass die Pressemitteilung mit den fünf Forderungen der CDU eine nachträgliche Bestätigung der grünen Behauptung ist.
Weiter geht’s mit rhetorischen Kniffen, die diesmal dem Kreisvorsitzenden Robert Clemen in den Mund gelegt werden:
Wenn unsere politischen Mitbewerber glauben, dass wir auf solche platten Angriffe allein mit theoretischen Aufsätzen antworten, dann täuschen sie sich gewaltig. Die CDU Leipzig wird sich auch in ihrer Rhetorik zu wehren wissen,
so Clemen. Keine Aufsätze, stattdessen Rhetorik. Wie bereits viele wissen, sind Aufsatz und Rhetorik ein Gegensatzpaar.
Nun aber: Tamtam! Die Forderungen. Erinnert sei: Es sind Forderungen, die eine Reaktion auf den Naziangriff auf Connewitz darstellen sollten.
In der Kreisvorstandssitzung am Montag wurde intensiv über politische Forderungen diskutiert, die eine Reaktion auf die aktuellen Herausforderungen sind und welche wie folgt lauten:
1. Stärkung des Rechtsstaates – Einstellung von mehr Richtern, Polizisten und Staatsanwälten, um Verfahren zu Beschleunigen.
Jetzt hat die CDU Leipzig in der Aufregung wohl etwas vergessen: Die CDU Leipzig ist eine Parteigliederung der CDU Sachsen. Diese CDU regiert in Sachsen seit 25 Jahren. In dieser Zeit hatte sie dann und wann auch auf Bundesebene, sagen wir, zu tun. Forderungen an die Regierung stellt man gemeiniglich als Oppositionspartei. Mit anderen Worten: Diese Forderung ist politisches Kabarett.
2. Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Kultur – keinerlei Duldung respektlosen Verhaltens gegenüber Frauen.
Mit dieser Forderung will sich die mit sich selbst überforderte CDU Leipzig selbst abschaffen. Wir sparen uns einen Überblick über respektloses Verhalten innerhalb der CDU gegenüber Frauen. Keinerlei Duldung! Wirklich keine! Nicht im Geringsten! Nicht mal ein Bisschen!
3. Straftäter schnell und konsequent abschieben!
Hier wollte die CDU Leipzig offensichtlich vermeiden, den guten alten NPD-Slogan „Kriminelle Ausländer abschieben!“ zu kopieren. Problem: Jetzt steht da nur „Straftäter“ – ohne Einschränkung. Wieder sägt die CDU am eigenen Ast. Und wohlgemerkt, wir befinden uns noch immer in einer Reaktion auf #le1101.
4. Beendigung des Dauerdemonstrationszustandes in Leipzig – Versammlungsfreiheit und Sicherheit in Einklang bringen.
Jetzt steht das mit der Versammlungsfreiheit natürlich im Grundgesetz. Das ist etwas schwierig. Soll das jetzt auch noch weg? Nochmalige Erinnerung: Anlass der Forderungen ist ein Naziangriff. Der war weder angemeldet noch hat er irgendwie mit dem Versammlungsrecht zu tun. Oder möchte die CDU Leipzig hier eine Verbindung zwischen den Vorfällen in Connewitz am 11. Januar und dem Legida-Jubiläum in der Innenstadt ziehen? Dann bitte!
5. Entziehung des Nährbodens für politische Extremisten – Strengere Überprüfung von Fördermittelvergaben in Leipzig.
Der traditionelle, rhetorische Schlag gegen die linke Szene in Leipzig. Dem Anlass angemessen. Es geht ja um den … ach lassen wir das.
Die Zeit, in der wir mit staatsmännischen Reden versucht haben, die Probleme kleiner werden zu lassen, ist vorbei. Wir brauchen konkrete Maßnahmen im Bund, im Freistaat und in Leipzig. Die CDU wird sich an der Debatte zur Umsetzung ihrer Forderungen rege beteiligen, so Clemen weiter.
Völlig richtig! Weil keine Zeit mehr zum (staatsmännischen) Reden ist, bedarf es jetzt einer regen Debatte! Im Bund (CDU an der Regierung), im Freistaat (CDU an der Regierung) und in Leipzig (Fraktion mit den meisten Stadträten).
Für die CDU gibt es einen bedauernswerten Zusammenhang zwischen verstärkter politisch extremer Gewalt und der Flüchtlingskrise. Diese habe viele Menschen radikal politisiert, da sie Vertrauen in die demokratischen Institutionen verloren hätten. Rechts- und Linksextremismus sind große Gefahren für unsere Demokratie, denen wir uns mit allen Mitteln entgegenstellen müssen. Auch aus diesem Grunde muss die Stadtverwaltung ihre Vergabe von Fördermitteln in Zukunft sehr genau überprüfen, so Clemen abschließend.
Also einerseits hat sich die „politisch extreme Gewalt“ nur verstärkt (wegen der „Flüchtlingskrise“) und andererseits hat diese „viele Menschen radikal politisiert“. Nur wenn jetzt die „extreme Gewalt“ schon vorher da war, inwieweit passt dazu die nun erst erfolgte Politisierung, wenn auch „radikal“? Fraglich scheint am Ende auch, ob Clemen der Meinung ist, dass die Stadtverwaltung mit etwaigen Fördermitteln „Rechtsextremismus“ entgegenkommt? Und wenn nicht, müssen wir es noch einmal wiederholen. Was hat das alles mit dem 11. Januar 2016 zu tun?
An diesem Tag haben 250 Neonazis Connewitz angegriffen. Die Leipziger CDU wurde von Linken und Grünen für ihr (Nicht-)Verhalten zum Sachverhalt kritisiert. Nun sah sich die CDU Leipzig doch noch zu einer Äußerung genötigt. Das Ergebnis ist eine hemdsärmelige Sammlung von Sinnlos-Sätzen und Forderungen, von denen keine irgendetwas mit dem eigentlichen Anlass zu tun hat. Würde die CDU Leipzig ihr Pamphlet selbst nochmal lesen und ernst nehmen, müsste sie sich eigentlich auflösen oder mindestens unter anderem Namen neu gründen.
Im Prinzip ist diese Pressemitteilung ein Skandal für sich. Im Prinzip. In Sachsen aber wohl nur eine Randnotiz.