Mittlerweile ist es Usus, Dingen Handlungsmacht anzudichten. Alles mögliche „verfügt über“ oder „besitzt“ etwas. Wohnungen zum Beispiel. Die schöne 4-Raum-Wohnung besitzt einen Balkon und verfügt über ein Tageslichtbad, lassen uns entsprechende Anzeigen wissen. Oder Möbel. Der Schreibtisch besitzt zwei große Schubladen. Ohne Zweifel, Anzeigentexte sind hartes Brot; und es lässt sich vermuten, dass die Autoren die drögen Verben „haben“ und „sein“ umschiffen und etwas variabler, geistreicher formulieren wollten. Das Ergebnis klingt nicht nur komisch, sondern zeigt, wie sakrosankt Eigentum gegenwärtig ist.
Sprache ist in Bewegung. Wörter ändern ihren Sinn, ihre Position im Gefüge. Und manchmal verraten sie etwas über den Zeitgeist. „Besitzen“ und „verfügen“ sind zwei Exemplare dieses Typs. Mittlerweile zur Beschreibung aller möglichen Eigenschaften von Menschen und Dingen typisch, hatten (und haben) sie einen anderen Sinn. Gerade der klingt eigentlich zu offensichtlich durch, als dass sie einfach so als Umschrift für „haben“ und „sein“ herhalten können. „Besitzen“ rührt – ganz offensichtlich – von „in Besitz nehmen“, und ganz plastisch davon, sich auf etwas zu setzen und das Besetzte dann als das Eigene zu verstehen. Es verlangt ein Objekt, das besetzt oder belagert werden kann. Im Fall des Schreibtischs gerät die Bebilderung dieses Vorgangs zur Farce. Wie genau sollte der Tisch eine Schublade belagern?
„Verfügen“ schlägt in dieselbe Kerbe und ist ganz nebenbei ein Synonym von „besitzen“. Grammatisch kann es in zwei Varianten daherkommen. Entweder mit der Präposition „über“, der ein Objekt folgt. Ich verfüge über unermessliche Reichtümer. Oder mit der neutralen Subjunktion „dass“, die hier keinerlei semantischen Gehalt mitbringt, sondern nur syntaktisch fungiert. Die Ministerin verfügte, dass alle Geflüchteten uneingeschränktes Bleiberecht erhielten. (Die Volksbank hat sich offensichtlich eine eigene grammatische Form ausgedacht: Kunden verfügen Geld. Wer genau da was mit wem macht, wird nicht ganz klar.) Das Wort selbst ist grundsätzlich von einer aktiven und bisweilen autoritären Spur geprägt. Es meint vorrangig „von Amts wegen anordnen, vorschreiben“. Das Nomen zeigt: Eine Verfügung kann man erlassen, und die anderen müssen (oder sollten) die Autorität des Verfügenden respektieren. Oder aus der anderen Richtung: Ich kann mich zur Verfügung stellen, was allerdings impliziert, dass ich dann dem anderen das Zepter überlasse.
Ein solcher Blick mag als sprachliches Kleinklein und damit als Lappalie durchgehen. Er offenbart allerdings, wie sehr die zeitgenössische Sprache davon durchzogen ist, die Welt im Modus des Eigentums aufzufassen. Alles muss irgendwie irgendwem gehören. Wenn die sprachgeschichtlich einschlägigen Verben „sein“ und „haben“ fast durchgängig mit zumindest latent aggressiven Operatoren getauscht werden können, hat das Besitztum restlos die Oberhand gewonnen. Die Gegenwart scheint besessen vom Besitz – wobei „besessen“ als selbstständiges Adjektiv vom Verb „besitzen“ abgeleitet ist. Es markiert schon im Mittelhochdeutschen die Ohnmacht eines Individuums, das seine Eigenständigkeit dem Teufel überlassen musste.
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Mmmh. Moment. Schon das Wort „haben“ als Vollwert hat die Konnotation von Besitz („Soll und Haben“, das Habe etc.). Das von dir gar nicht kommentierte „gehören (zu)“ ebenfalls. Es ist also gar nicht so leicht, dem Bedeutungscluster zu entkommen.
Außerdem: „Besitz“ ist später als „besitzen“ in die Sprache gekommen, sodass das Verb seit jeher in einer Fülle von Wendungen vorkommt, die erst uns heute aufmerken lassen, wenn wir den Bezug zu besitzen und besetzen einbedenken. Ob einer ein freundliches Gemüt besaß, das Bild einen fein ziselierten Rahmen oder der Junker ein großes Land – das existiert seit Langem in der deutschen Sprache, vermutlich seit dem 18. Jahrhundert, als sich die Oberschichten bemühten, ein Deutsch zu fabrizieren, das dem Lateinischen ebenbürtig und dem Französischen an Vokabelreichtum gleichkäme. Von daher scheint mir insbesondere das superhässliche „verfügen über“ aus der Verballhornung der vornehmen Sprache im Bürokratendeutsch herzurühren. Je mehr Silben, desto „gebildeter“ wirkt es ja.
Wie auch immer, ich glaube, als Kritik des „zeitgenössischen“ Bewusstseins geht deine Sprachkritik in diesem Fall zu weit. Eher sehe ich den fürs Deutsche typischen Drang am Werk, den einfachen Ausdruck für weniger „würdevoll“ zu halten als den Ausdruck, der sich breiter macht und gewundener daherkommt. Das schleift sich aber gerade immer mehr ab – es ist fast schon zur Peinlichkeit geworden, wenn jemand meint, per Sprachgebrauch seinen Status dokumentieren zu müssen. Das macht man nur noch auf akademischer Ebene, überall sonst ist das „vornehme Sprechen“ so gut wie ausgestorben (übrigens auch in der Literatur, obwohl es da noch Inseln gibt).
Stimmt sicherlich. Wir haben bewusst überzeichnet, weil uns scheint, dass sich das Besitzdenken eingeschliffen hat. Es wird für Dinge zu Rate gezogen, die man erst „passend“ machen muss. Haben ist letztlich viel allgemeiner, weil es auch ein Modalverb ist.
„Sprache ist in Bewegung. Wörter ändern ihren Sinn, ihre Position im Gefüge.“?
Weder die Sprache, noch die Wörter machen das – die Menschen sind es, die der Sprache Bewegung geben oder den Sinn der Wörter ändern.
Zu fragen wäre, warum sie, also die Menschen, das immer wieder tun.
Warum z.b. aus kostenlos (wie auf dem Plakat) in den letzten Jahren ein „kostenfrei“ werden mußte – suggeriert letzteres mehr Freiheit als das eventuell als abwertend empfundene „-los“?
Oder geht’s einfach nur um das „Neu ist spannend“*-Gefühl?
Wenn sich schon die Dinge oder Verhältnisse nicht ändern (lassen), dann wird wenigstens durch neue Begriffe das Gefühl (und nicht das Wissen) des Fortschritts vermittelt.
Und ein Komma nach „Möglichkeiten“ oder eins nach „Kunden“ waren der Volksbank wohl zuviel an Möglichkeiten…
*VW-Plakat, Sommer 2015
Stimmt freilich, dass Menschen Sprache in Bewegung halten. Aber häufig genug tun sie dies nicht sonderlich intentional, denke ich. Sie nutzen zumeist sprachliche Werkzeuge, ohne sich über deren versteckten oder mitgeschleppten Sinn klar zu werden. Gegenwärtig schimmert fast beständig eine Ökonomisierung des Sozialen durch.Das Plakat der Volksbank ist ohne Zweifel gruselig, selbst das Layout.