Superlative allerorten. Normal, mittelmäßig oder unaufgeregt geht schon lange nicht mehr. Ereignisse finden nicht einfach nur statt, sondern sind schon weltbewegend, ehe sie in der Zeitung stehen. Selbstsichere Medientexte behaupten bereits in der Gegenwart, historisch in die Zukunft greifen zu können.
Neben überfrachteten Substantiven, die für unzählige Geschehnisse und Phänomene verwendet werden (etwa Fluten, Lawinen, Terror), sind die Medien voll von Superlativen. Von den schärfsten Tönen, den lustigsten Videos und den neuesten News. Kaum ein Ereignis kommt mehr ohne aufbauschendes Beiwerk aus.
Doch ein Adjektiv fällt im Nachrichtenhochdruck durch seine Form auf: „historisch“. Es wird gerade nicht im Superlativ verwendet, sondern im Positiv, also in der Grundform. Daher wirkt es auf den ersten Blick harmlos; seine Bedeutung ist scheinbar leicht umrissen. Der Duden sagt: „die Geschichte betreffend, geschichtlich“ oder „alt, einer früheren Zeit zugehörig“ oder „bedeutungsvoll, wichtig für die Geschichte“.
Was genau hat es dann mit den „Historischen Wahlergebnissen in Polen“ bei n-tv auf sich? Zunächst sind es einfach Wahlergebnisse. Sie gehören bereits am Wahlabend zwar genau genommen der (allerjüngsten) Vergangenheit an und sind somit fast noch Gegenwart. Aber sie sind eben vorerst nicht mehr als das. Noch sind die Wahlen nicht „die Geschichte betreffend“ oder „bedeutungsvoll, wichtig für die Geschichte“. Ebenso verhält es sich mit dem Klimagipfel, der am 12. Dezember 2015 mit einem Vertrag beendet wurde. Nicht nur der Spiegel spricht von einer „Historischen Einigung in Paris“. Doch was ist an diesem Klimavertrag im Restdezember des Jahres historisch?
Die Bedeutung dieser und vieler anderer Ereignisse kann sich erst in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zeigen. Nur mit Rückblick auf die Auswirkungen der polnischen Wahlen oder des Klimagipfels kann tatsächlich eingeschätzt werden, was Land, Klima oder Gesellschaft verändert hat. Man stelle sich vor, die neue polnische Regierung hält keine fünf Monate durch und wird bald durch eine ersetzt, die das Land nicht völlig nach rechts abdriften lässt. Dann wären die Wahlergebnisse vom 27. Oktober 2015 mit Blick aus dem Jahr 2017 gerade nicht mehr „historisch bedeutend“, sondern lediglich „vergangen“. Und auch der Klimagipfel ist zwar mittlerweile vorbei, aber noch lange nicht „historisch“. Er ist der aktuellste, nicht einer, der lange zurückliegt. Ebenso wenig kann der Klimavertrag als historisch bezeichnet werden, da dieser wohl noch eine Weile brauchen wird, um Wirkung zu zeitigen. Und ob diese Wirkung dann „für die Geschichte bedeutungsvoll“ gewesen sein wird, ist kaum abzusehen.
Die Google-Suche reiht sich konsequent in diese Deutung ein: Die erste vorgeschlagene Ergänzung zur Phrase „historischer Klima-“ ist „-wandel“. Was genau ist denn ein unhistorischer oder ahistorischer (Klima-)Wandel? Hier scheint erneut das Futur II durch: Unser sich wandelndes Klima wird historisch bedeutsam gewesen sein.
Auch Malte Kreutzfeld schreibt in der taz über „Historisches als Randnotiz“. Der einleitende Satz ist: „Dass in Paris am Sonntagabend Geschichte geschrieben wurde, war für traditionelle deutsche MediennutzerInnen kaum zu merken.“ Damit erläutert er ganz nebenbei, was hier gerade zu passieren scheint: Das Adjektiv „historisch“ erlebt eine Bedeutungserweiterung um das Futur II. Zu „lange her“ und „im Laufe der Geschichte wichtig weil epochemachend“ gesellt sich nun „gerade erst passiert und wird bestimmt irgendwann mal wichtig gewesen sein“.
Neben all den Superlativen markiert nun also ein weiteres Attribut die Relevanz der Dinge. Selbst wenn einige Ereignisse zunächst einfach nur Ereignisse sind und dies vermutlich bleiben. Das zeitgenössische Denken maßt sich an, die Unbestimmbarkeit der Zukunft zu unterschlagen. Medial aufbereitet glaubt man immer schon zu wissen, was einmal als bedeutsam – also historisch – verstanden werden wird.
Bild: Clément-Auguste Andrieux, La bataille de Waterloo. 18 juin 1815 (1852)