Sicher kein „Straßenterror“

Verhaftung von Kommunisten durch SA in Berlin am 6.3.1933, am Tage nach den ReichstagswahlenLeipzig steht mal wieder im Fokus. Es hat geknallt, einige Scheiben, Polizeifahrzeuge und Dixi-Klos haben gelitten. Abseits aller Wertungen ist Vorsicht bei der Begriffswahl angezeigt, wenn es darum geht, den Dingen einen Namen zu geben. Der Begriff „Straßenterror“, den zunächst Oberbürgermeister Burkhard Jung in die Runde warf und der mittlerweile zum geflügelten Wort mutiert ist, bedient ein völlig falsches Register und setzt die Randale vom Dezember 2015 mit den mordenden Schergen von SA und SS gleich.

Begriffe haben üblicherweise ihre Geschichte, und sie zu ignorieren, ist mindestens fahrlässig. Im Rahmen einer aus den Fugen geratenen politischen Semantik hat gerade das allerdings Konjunktur. Da berufen sich verwirrte Rassisten auf ein „Abendland“, ohne zu ahnen, mit welchen Referenzen sie spielen. Da wird die Keule des „Linksfaschismus“ geschwungen, ohne sich über dessen Sinn Gedanken zu machen. Auf einmal dreht sich der Begriff „Asylkritik“ um 180 Grad und Ausländerfeinde werden zu „besorgten Bürgern“, deren bisweilen sogar als berechtigt geltende Ängste man ernst nehmen müsse. Und nun werden Krawall und Randale zum „Straßenterror“.

Als sei der Terrorbegriff nicht schon restlos überladen, muss er nun auch noch kaputte Scheiben, Dixis und Autos abdecken. Dabei hat das Kompositum Straßenterror konkrete historische Bezüge. Ein Ausflug zu Wikipedia reicht bereits, um dessen Geschichtsträchtigkeit zu erkennen. „Der Begriff Straßenterror wurde und wird meist im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Terror verwendet“ (siehe hier). Bei solchen Aktionen, von der SA und der SS durchgeführt, starben regelmäßig Menschen; jene, die nicht in das Weltbild der deutschen Rassenideologie passten. Seit Samstag allerdings ist das Wort neu codiert, weil mediale Zitationsketten die Suchalgorithmen überfrachten. So tilgt man historische Spuren und verharmlost die Verbrechen, die im Namen des NS verübt wurden.

Auf der einen Seite wird verniedlichend von „besorgten Bürgern“ und „Asylkritikern“ gefaselt und auf der anderen vom „Straßenterror“ schwadroniert. Eine Vermutung: Wenn notorisch (wie Werner Patzelt und andere Extremismusversessene mit ungebrochener Leidenschaft vorführen) ein vermeintlich gleicher Abstand der guten weil demokratischen Mitte zu links und rechs vermessen werden muss, während die politische Kultur bedrohlich nach rechts kippt, dann braucht es zweierlei Maß. Und die Wahl der Worte ist wie immer „geschwätzig“.

Bild: Verhaftung von Kommunisten durch die SA in Berlin am 6. März 1933, am Tag nach den Reichstagswahlen

  1. Wenn Du im dünnen Sommerkleidchen bei 15° C an der Straßenecke wartest, ist es natürlich »kalt«. Auch wenn in anderem Kontext »kalt« etwas ganz anderes bedeuten mag (Winter, Sibiren, Tieftemperaturphysik…)
    Eine Kerzenflamme in der Nacht ist natürlich »hell«. Auch wenn in anderem Kontext »hell« etwas ganz anderes bedeuten mag (Stadionbeleuchtung, Fotoblitz, Sonne…)
    Wenn ich mein Kind mit der Angst vor Strafen erziehe, ist das »Terror«. Auch wenn… (IS, 9/11, Paris…)
    Nein. »Einige Dixi-Klos haben gelitten.« ist eine groteske Verharmlosung der Situation. Es wurde exzessiv Gewalt ausgeübt, und ich kann dafür keinen Grund erkennen, als daß anderen Angst gemacht werden sollte. Das ist »Terror«. Was denn sonst?
    Auch wenn die Polizei völlig grundlos irgendwen attakiert, ist das »Terror«. Was denn sonst? Habe allerdings mit meinen Lieben rechtzeitig das Weite gesucht und war nicht dabei, kann also nicht beurteilen, ob es von Seiten der Polizei zu terroristischen Übergriffen gekommen ist. Zutrauen würde ich es denen, weil die Polizei sich ja auch zu großen Teilen aus dummen Deutschen rekrutiert.
    –––
    »Terror […] ist die systematische und oftmals willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt…« (Wikipedia)
    –––
    Zusammenfassung:
    – Kind anschreien ist Terror.
    – Flüchtlingunterkunft anzünden ist Terror.
    – Polizei mit Pflastersteinen bewerfen ist Terror.
    – Friedliche Demonstranten niederknüppeln ist Terror.

    1. Vorsicht, das ist eine alltagssprachliche Deutung. Im Rahmen politischer Statements und Debatten ist das ziemlich gefährlich, weil es durchaus ratsam ist, Differenzierungen zu ermöglichen. Wie sollte man die „IS-Terrormiliz“ nennen, wenn das auch heißen könnte, dass die nur ihre Kinder anschreien? Ich halte es für fatal, die historische Spur zu tilgen, die deutlich auf andere Dinge verweist als jene, die am Samstag zu bestaunen waren. Besonders mit Blick auf das Kompositum „Straßenterror“. Zumal der Wortschatz einige Möglichkeiten bereithält: Randale oder Krawall etwa. Schließlich konkretisiert selbst der zitierte Wikipedia-Artikel nur einige Zeilen weiter, dass Terror mit Mord und Totschlag in Verbindung steht.

    2. @Martin Krämer:
      1. „[…] Zutrauen würde ich es denen, weil die Polizei sich ja auch zu großen Teilen aus dummen Deutschen rekrutiert. [….]“
      Ein so unterbelichtetes Statement kann ich leider nicht unkommentiert lassen. Sie, Herr Krämer, wissen also, dass unsere deutschen Polizeibehörden zu einem großen Teil nur minderbemittelte Schulabgänger rekrutieren (rekrutiert haben) ? So eine Aussage ist in meinen Augen mal wieder nur dummes Geschwätz von Leuten, welche die gut ausgearbeiteten Sicherheitskonzepte solcher Veranstaltungen einfach nicht verstehen können bzw. aufgrund ihres festgefahrenen pol. Verständnisses nicht nachvollziehen wollen. Ich hoffe sehr, Sie überdenken besonders Ihre Passage zum Themenkomplex unserer ausführenden Exekutive nocheinmal und denken daran, dass wir all diesen Leuten für ihren täglichen Einsatz dankbar sein sollten, ansonsten hätten die Faschos und Antifas schon einge Städte zu Schutt und Asche zerlegt (meiner Meinung nach).
      Eine Anmerkung noch dazu: Allein die zahlreichen Verstöße gegen das seit 1985 bestehende Vermummungsverbot waren seitens beider pol. Gruppierungen eine klare Provokation gegenüber allen Sicherheitsbeamten !

  2. Vermeintlich „linke“ Demonstrationen haben in der Vergangenheit bereits zu Todesfällen und sehr schweren Verletzungen geführt, vor allem auf Seiten der Polizeibeamten. Zugegbenermaßen führen die Statistiken aktuell „nur“ Verletzungen auf (fehlt in der Liste „kaputte Scheiben, Dixis und Autos“ – warum?), aber wer Pflastersteine wirft, nimmt schwere Kopfverletzungen in Kauf, die ohne Weiteres auch zum Tode führen können. Dass es dazu nicht kommt, ist Glück und rechtfertigt nicht, die Taten in ein besseres Licht zu rücken.

    1. Niemand hat etwas gerechtfertigt. Darüber sollen andere diskutieren (und an anderer Stelle). Hier geht es um kritische Sprachbeobachtungen. Aber im Moment scheint jede Differenzierung an der allgemeinen Raserei zu zerschellen.

    2. bitte einmal die quelle auf die du dich berufst, dass es todesfälle unter polzisten in zusammenhang mit aktionen der politischen linken gegeben haben soll. und bleib dabei bei der relation, die bomben und waffen der RAF kannst du nicht mit demonstrationen, hausbesetzungen oder blockaden gleichsetzten. und ja, diese einschränkung ist für diese diskusion zu diesem artikel gerechtfertigt, da sich der artikel mit den ereignissen und der damit einhergehenden sprache im rahmen einer demonstration handelt.

    3. Hallo Michi, sind das Infos aus der Twilight Zone oder woher nimmst du die Gewissheit, dass bereits tote Polizisten zu beklagen sind, welche in den Statistiken als Verletzte auftauchen? Wer bitte schönt Statistiken und streicht tote Polizisten?

Comments are closed.