1. Mai: Mit Bockwurst fürs Recht aufs Schuften?

arbeit_textAnlass 1. Mai: Der DGB schwärmt einmal mehr von „Guter Arbeit“ und lässt Erwerbslose erneut im Stich. Der Bürgermeister der deutschen Vize-Armutshauptstadt reckt kämpferisch die Faust und Kindern wird das Auf und Ab des Berufslebens an der Hüpfburg verdeutlicht.

„Arbeit muss sich wieder lohnen”, sind sich die politischen Parteien und Gewerkschaften einig. Wann aber hat sich Lohnarbeit schon einmal angemessen ausgezahlt? Geld für eine erfüllende Tätigkeit statt entfremdeter respektive entfremdender Arbeit zu bekommen, gilt bis dato als Luxus der Wenigen. Wir sitzen einem Trugschluss auf, was den Sinn der Erwerbsarbeit betrifft, das kann man sich mit etwas Muße gerade am „Tag der Arbeit” (oder auch „Kampftag der Arbeiterbewegung”) einmal klarmachen.  Prägnant formulierte Paul Lafargue 1883 im Recht auf Faulheit: „Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht. Diese Sucht, die Einzel- und Massenelend zur Folge hat, quält die traurige Menschheit seit zwei Jahrhunderten. Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende Arbeitssucht, getrieben bis zur Erschöpfung der Lebensenergie des Einzelnen und seiner Nachkommen. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Ökonomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen.“

Das Wort Arbeit bezeichnet vieles: Job und Beruf, einen Arbeitsplatz oder jedwede Tätigkeit. Es gibt sogar Trauerarbeit. Im Alltagsgebrauch meint Arbeit in aller Regel Erwerbsarbeit. Haus- und Familienarbeit zum Beispiel sind davon klar abgegrenzt: Die meisten Menschen arbeiten um des Geldes willen. Spaß dabei schließt sich für sie aus. Konträr zu heutigen Anklängen von Selbstverwirklichung wird Arbeit seit jeher mit Mühsal, Beschwerlichkeit, Maloche assoziiert. Schon in der Bibel ist sie göttliche Geißel, nämlich Strafe für den Sündenfall: Der Mensch wird aus dem Paradies verbannt und ist aufgefordert, fortan „im Schweiße deines Angesichts” seine Brötchen zu verdienen. Wegen eben dieser Mühsamkeit mied die Arbeit, wer konnte. Lange Zeit gab es Arbeit in dem Sinne gar nicht. Wurde die Arbeit über lange Zeit als für einen freien Menschen unwürdig angesehen, kippte diese Vorstellung erst in der Neuzeit mit der protestantischen Ethik ins glatte Gegenteil. So gilt Arbeit bis heute als Segen und Sinnstiftung. Anerkennung und über sie das Selbstwertgefühl werden über die Erwerbsarbeit eingebracht und vermittelt. Seit Luther wurde der Wert der Arbeit umgemünzt. Vom Reformator stammt auch der harte, mit aller vorherigen katholischen Sozialethik der milden Gabe brechende Satz: „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen” (nach dem auch die Hartz-IV-Politik ausgerichtet ist). Im anbrechenden industriellen Zeitalter blieb ohnehin kein Ausweg aus der Arbeit, über den Erwerbsjob – und den dadurch möglichen Konsum – definiert sich der Jetzt-Mensch, Anerkennung wird vom Beruf abgeleitet.

In Arbeit und Rhythmus (1899) träumte der Leipziger Nationalökonom Karl Bücher den Traum von der Vereinigung aller Lebensaspekte und -verhältnisse. Der von ihm entworfenen Aufhebung der Trennung von Arbeit und Freizeit, Mühsal und Lust sind wir in negativer Hinsicht heute näher, als man sich wünschte. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Druck auf dem Jobmarkt, permanente Erreichbarkeit – irgendwie ist der Mensch immer „bei der Arbeit“. Entfremdung stinkt, sicher. Aber ist nicht gerade die vermeintliche Verwirklichung in einem (Arbeits-)Leben voller Projekte, die prekäre Selbstausbeutung in kreativen Berüfchen ein Dreh mehr an der neoliberalen Stellschraube der Humankapitalflexibilisierung?

Schon Hannah Arendt prognostizierte einen mit dem Ende der Arbeitsgesellschaft einhergehenden Sinnverlust: Ohne ihren einzigen Sinn, nämlich die Arbeit, geht ihr die Bedeutung verloren. Sie warnte zwar vor negativen Folgen wie allgemeiner Verunsicherung, hegte aber auch die Hoffnung, dass sich die Menschen vermehrt auf das Politische besinnen, ihre Kraft und Tätigkeit auf die gute und gerechte Gestaltung ihres Zusammenlebens konzentrieren. Solch ein schöner Traum vom tätigen Leben jenseits der Erwerbsarbeit scheint ganz weit weg, dabei schien er schon einmal nah. So stilisierte Klaus Haefner 1982 in einer viel beachteten Absage an das Fortbestehen der Vollbeschäftigung die Bildung zu Hobby und Zeitvertreib für die aufkommende Gesellschaft der Arbeitslosen. Um solch ein mußevolles Leben als positive Idee anzunehmen, bedarf es neben der Umgestaltung des auf Lohnarbeit basierenden Gesellschaftssystems eines Einstellungswandels. Arbeit ist nicht der Motor menschlicher Entwicklung, hat sich aber in den letzten Jahrhunderten als Medium der Selbstdefinition für die meisten Menschen installiert.

Arbeit muss aus dem Mittelpunkt rücken, anderes ins Zentrum treten und die Erwerbsarbeit als Grundbestimmung des Menschen verblassen. Aristoteles hob die Bedeutung der Muße als Gebot der Tugend hervor. Sie galt ihm als wesentlicher Bestandteil des glücklichen, gelingenden Lebens. Hier ist der Mensch ganz bei sich. Abschweifendes Denken, spazierendes Schwelgen oder auch Computerspielen hätte der Gelehrte nicht zur Zeitverschwendung erklärt, sondern als lustvolle Mußestunden abgenickt. Das ist keine verwirrte Einzelmeinung. Der Philosoph Bertrand Russell hat in seinem Lob des Müßiggangs vorgeschlagen, die tägliche Arbeitszeit auf vier Stunden zu reduzieren, damit die Menschen genug Zeit für die wichtigen Dinge im Leben hätten: Die Tätigkeiten, welche die Menschen um ihrer selbst willen ausführen. Dann könnte jeder Wissenschaft betreiben, wie er wolle, sich der Malerei, dem Schreiben widmen, aber, so Russell, warum nicht auch Bauerntänze pflegen, also alles, was die Lebensfreude steigert? „Mit den modernen Produktionsmethoden ist die Möglichkeit gegeben, daß alle Menschen behaglich und sicher leben können; wir haben es stattdessen vorgezogen, daß sich manche überanstrengen und die andern verhungern. Bisher sind wir noch immer so energiegeladen arbeitsam wie zur Zeit, da es noch keine Maschinen gab; das war sehr töricht von uns, aber sollten wir nicht auch irgendwann einmal gescheit werden?“ Schon klar: „It’s capitalism, stupid!“

  1. Na mindestens auf zwei Gebieten wird der Begriff Arbeit neuerdings gern benutzt:
    auf dem Kunstmarkt wird seit etwa zehn Jahren fast nur noch von „Arbeit(en)“ gesprochen, wenn Bilder, Objekte usw gemeint sind. Ob die Künstler bzw. Kunsterklärer damit gerade auf den positiven Gegensatz zu ihrem sonstigen „brotlosen“ Dasein hinweisen wollen…?
    Das andere Gebiet ist die Sprache der Sportreporter, die durch den Fernseher den Weg in die Münder von Trainern und Aktiven findet: auch da soll ständig gearbeitet werden (gegen den Mann – oder eben gegen den Ball) – wo vor Jahren noch einfach nur gespielt wurde…

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