Ressortleiter „Hetze“ – gesucht und gefunden?

Gastbeitrag von Tobias Wilke

FotoJetTag24WTFnewDass Tag24 herzlich wenig vom eigentlich zwingenden Konjunktiv hält, sobald es um vermeintliche Nichtdeutsche geht, die irgendwie im Zusammenhang mit einer möglichen Straftat stehen könnten, hat dem Onlinekäseblatt bereits zu trauriger Berühmtheit im Fake-News-Atlas Hoaxmap.org verholfen – der Artikel über eine vermeintliche Vergewaltigung durch „südländische Typen“ am „helllichten Tag in Dresden“ gilt als regionaler „Klassiker“ unter den journalistischen Sorgfältigkeitspflichtverletzungen. Nun hat einer der sächsischen Tag24-Onlineautoren einen blitzsauberen Hat(e)trick hingelegt …

Oans, zwoa, druffa …

Den Grundstein für diese besorgniserregende Serie legte Alexander B. mit seinem Artikel über den vermeintlich „explosionsartigen Anstieg von Vergewaltigungen“ in Leipzig (mehr dazu hier). Dass der Anstieg vor allem auf eine Verschärfung des Sexualstrafrechts zurückzuführen ist, darauf hatten die Polizeidirektion Leipzig und seriöse Medien ausdrücklich hingewiesen. Alexander B. aber versteckte diese wichtige Information als Randnotiz am Ende seines somit vollkommen grundlos reißerischen Artikels. Die hasserfüllten Kommentare der Wutbürger zeigten: Bis dahin lesen offenbar ohnehin die wenigsten, aber die Schuldigen kennen fast alle – Angela Merkel und/oder Flüchtlinge. Egal, Hauptsache hohe Zugriffszahlen. Mission erfüllt.

Dr. Jekyll und Mr. B.

Mit seinem nächsten Artikel schien Alexander B. zunächst seinen Ruf retten zu wollen: Warum Sachsens Juden die Kippa in der Tasche lassen lautet die Überschrift. In dem Interview mit dem Vorsitzenden der Israelitischen Gemeinde Leipzig warnt dieser vor wachsendem Antisemitismus in Sachsen. Doch bereits im dritten Absatz verfällt Autor Alexander B. leider wieder in bekannte Muster und ruiniert damit ein eigentlich wichtiges Thema: „Während Schleier, Turbane und Burkas in Sachsen längst zum Straßenbild gehören, verzichten viele der hier lebenden Juden lieber auf das Tragen von religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit.“

Nun gehören „Schleier, Turbane und Burkas“ in Sachsen (!) ungefähr so sehr zum Straßenbild wie Yetis die Landschaft der bayerischen Voralpen prägen oder man während der Brunftzeit ständig damit rechnen sollte, dass Einhörner herdenweise die Landstraße kreuzen. Was also sollen diese komplett absurden Überfremdungsphantasien in einem Artikel über Antisemitismus bezwecken? Alexander B. zitiert aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Kerstin Köditz. Demnach registrierte die Polizei vergangenes Jahr 118 antisemitische Straftaten in Sachsen.

Was der Artikel jedoch diskret verschweigt: Nur zwei davon (also 1,7 Prozent) werden den sogenannten Phänomenbereichen „ausländische“ (ein Fall) bzw. „religiöse Ideologie“ (ein Fall) zugerechnet, wobei nicht bekannt ist, ob letzterer Tatverdächtiger nun Burka, Turban, Schleier oder beispielsweise das Gewand eines Pius-Bruders trug bei der Veröffentlichung eines volksverhetzenden Beitrags im Internet. Vielleicht waren es auch einfache Jogginghosen.

IM Buschwerk

Den Hat(e)trick schaffte Alexander B. mit seinem aktuellen Artikel über einen mutmaßlichen (!) Drogenhandel. „Mutmaßlich“ findet sich in dem Pamphlet mit der Überschrift Krasse Aufnahmen! So werden in Leipzigs City Drogen vertickt allerdings ebenso wenig wie der Konjunktiv oder sämtliche anderen Möglichkeiten, unbestätigte Verdachtsmomente sprachlich als solche zu kennzeichnen. Nach der Großrazzia von Bundes- und Landespolizei am Leipziger Hauptbahnhof wollte Alexander B. offenbar „investigativ aufdecken“, was die Beamten nüchtern im Polizeibericht zusammenfassten. Dafür geht man schon mal ins Eingemachte und legt sich mit dem Teleobjektiv auf die Lauer:

Originalzitat Tag24 vom 12.4.2018:

Wie gehen die Dealer vor? TAG24-Reporter postierten sich am Tag nach der Razzia mal am Schwanenteich hinter der Oper und schauten einem der Drogendealer bei der Arbeit zu.
Der junge Mann mit dem weißen Basecap – dem Anschein nach Nordafrikaner – geht unablässig die Wege auf und ab, erbietet nahezu jedem Passanten einen überschwänglichen Gruß. Seine Augen schreien dabei förmlich: „Sprich mich an, wenn du was brauchst ….“.

Der Text geht ähnlich unappetitlich weiter, der „Autor“ lässt keine Zweifel aufkommen an seinen Laienermittlungen samt Richterspruch. Hobbyfotografen und technisch Interessierte fragen sich jetzt natürlich, mit welchem Teleobjektiv man die Herkunft einer fokussierten Person geografisch derart genau auf „Nordafrika“ eingrenzen kann. Für Überfremdungsphobiker mag es verrückt klingen, aber auch Deutsche gibt es in signifikant mehr Farbtönen als Schweinchenrosa, Sonnenbankorange oder Schnapsmissbrauchsgrau. Um sich dessen notfalls zu vergewissern, reicht eigentlich ein kurzer Blick in ein gut sortiertes Panini-Sammelalbum.

Nicht minder spannend sind allerdings die juristischen Fragen zu dieser reichlich bebilderten Foto-Hate-Story. Die in den insgesamt fünf (!) veröffentlichten Fotos dargestellte Person dürfte wohl kaum um ihr Einverständnis gebeten worden sein. Der von Alexander B. in einer Bildunterschrift „Weißkäppchen“ getaufte Mann ist nicht Teil einer Menge und definitiv kein Zufallsmotiv oder sogenanntes Beiwerk, sondern wurde gezielt abgelichtet, wie der Autor sogar selbst zugibt.

Das spätere Verpixeln des Gesichts schützt den Fotografen (laut Unterzeile Alexander B. selbst) nicht unbedingt: Es reicht, wenn die dargestellte Person von Freunden, Bekannten oder Verwandten wiedererkannt wird. Da in dem Text eine durch die heimlich fotografierte Person durchgeführte strafbare Handlung lediglich behauptet wird, ohne diese mit einem entsprechenden Gerichtsurteil belegen zu können und zudem journalistische Standards grob missachtet werden, wäre gegebenenfalls sogar eine Strafverfolgung des Fotografen (also Alexander B.s) gemäß § 201a StGB denkbar. Darin heißt es: „Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.“ Strafmaß: bis zu zwei Jahre Haft.

Vielleicht hat „Weißkäppchen“ ja nur Kräutertee verkauft oder selbstgeschnitzte Weihnachtsengel? Man weiß es nicht. Auch nicht Alexander B. mit seinem Detektivset für besorgte Bürger.

Comments are closed.