Zucker für die Affen: Tag24 und die erfundenen 670 Prozent mehr Vergewaltigungen

tag-24-fb-670-ProzentDa wird die Volksseele kochen: Tag24, Boulevard ohne Journalismus, berichtet, dass im Raum Leipzig die Zahl der Vergewaltigungen um 670 Prozent und damit drastisch gestiegen sei. Das Blatt bemüht die aktuelle Kriminalstatistik und singt verbittert mit im Chor derer, die tagein tagaus davon faseln, wie schlimm die Welt doch mittlerweile angeblich ist. Zusammen mit einem anderen Text zur Gesamtzahl der Straftaten schraubt sich die fälschlich Zeitung genannte Sammlung von Dummheiten ein weiteres Treppchen die Angstspirale hinauf. Blöd ist nur, dass das Blatt mit dem letzten Fünkchen Seriosität den Fehler selbst zugibt: Einen Anstieg gab es nicht.

Das Boulevard ist bekannt dafür, dass zwischen dem Aufmacher eines Textes und der Sachlage oft eine gewisse Lücke klafft. Hauptsache die Überschrift bedient Emotionen und verführt zum Klick. Und dass das Spiel mit Ängsten zum Genre gehört, ist ebenfalls eine alte Leier. Tag24 jedoch ist im Niveau-Limbo nicht zu schlagen. Ein Beitrag zur jüngst veröffentlichten Kriminalstatistik für Leipzig ist, in roten Großbuchstaben, mit den Worten überschrieben: „Über 100.000 Straftaten! Wird Leipzig noch krimineller?“ Das klingt heftig. Die Zahl und der Komparativ (noch krimineller) deutet an, dass eine schon düstere Ausgangslage sich weiter verschlechtert habe. Man ahnt, was kommt: Wachstum und Migration etc. Getragen von der plausiblen Vermutung, dass Leserinnen und Leser den angstmachenden Effekt der Überschrift schon fressen werden und hoffentlich nicht ernsthaft in Betracht ziehen, den Text zu lesen, folgt unmittelbar danach, also im fettgedruckten Anleser, der eigentliche Sachverhalt: „Die Anzahl der Kriminaldelikte ist im vergangenen Jahr in Leipzig deutlich zurück gegangen. Doch die Polizei warnt vor Euphorie.“ Was soll man zu so viel Stumpfsinn noch sagen?

Nur einen Tag später hat Alexander Bischoff, der sich vermutlich Journalist nennt, nochmals das Zahlenwerk zur Kriminalität durchgesehen und eine weitere Möglichkeit entdeckt, wie er Klicks produzieren und aus dem buchstäblichen Nichts Angst schüren könnte. Fein, dachte sich die Redaktion und brachte einen Artikel mit der Überschrift „Plus 670 Prozent! Dramatischer Anstieg von Vergewaltigungen in Leipzig„. Wieder liegt der Schluss nahe, dass man besser nicht vor die Tür gehen sollte. Doch weit gefehlt, alles falsch, wie dem Text selbst zu entnehmen ist. Das ist so dreist, dass man Autor und Redaktion mangelnden Anstand und Unredlichkeit zur Last legen muss.

Nachdem Bischoff ein wenig mit Zahlen herumgespielt hat, räumt er am Ende des Textes (also dort, wo die meisten Leute schon abgesprungen sein dürften) ein, dass es womöglich gar nicht mehr wirkliche sexuelle Nötigungen und Vergewaltigungen gab. Vielmehr habe ein tatsächlich verschärftes Strafrecht nur mehr Fälle sichtbar gemacht: „Der enorme Anstieg bei Vergewaltigungen und schweren sexuellen Nötigungen geht wesentlich auf das nach den Kölner Silvester-Übergriffen 2016 verschärfte Sexualstrafrecht zurück. Seither gelten solche Attacken nicht mehr nur als einfache Nötigungen.“

Das heißt, alles vorher Gesagte, also der ausgeschlachtete faktische Anstieg an Straftaten, ist in Wirklichkeit unwesentlich. Herr Bischoff kann gar nicht wissen, wie die Dinge tatsächlich liegen, weil die Statistiken einen Vergleich zu den Vorjahren nicht zulassen. Die gestiegenen Zahlen gehen überwiegend auf eine andere Rechtspraxis zurück, nicht auf mehr Übergriffe. Und Bischoff hätte es wissen müssen. Schon letztes Jahr gab Leipzigs poetischer Polizeisprecher Andreas Leopki nach ähnlich alarmistischen und aufgeregten Debatten zu Protokoll: „Ferner merke ich an, dass die Daten für 2017 wahrscheinlich deutschlandweit nach oben schnellen werden, was dann aber maßgeblich mit der Änderung des StGB (Novellierung § 177) zu tun hat und eine Vergleichbarkeit zu Vorjahren erschweren wird“ (Kreuzer, 22. September 2017). Verschärfend kommt hinzu,  dass Bischoff nicht mal den als Journalismus getarnten Angstschrei beherrscht: Vergewaltigungen waren noch nie „einfache Nötigungen“.

Dennoch schlachtet Bischoff die erdachte Dramatik der Lage so heftig wie möglich aus und kolportiert Phantasiezahlen. Auf Facebook wird der sinnfreie Artikel auch noch mit den redaktionell abgesegneten Worten „Der absolute Horror! #Leipzig“ anmoderiert, selbstredend im Zusammenspiel mit einem reißerischen Bild. Unter dem Beitrag tobt der reaktionäre Mob, der fast unisono Antifa und Migration für die Zustände verantwortlich macht, unterbrochen von „Danke, Merkel!“ und Kotz-Emojis. Aus nichts wird Hass auf Geflüchtete. Einen solchen Text zu veröffentlichen, ist so verantwortungslos von Autor und Zeitung, dass ich aufpassen muss, nichts strafrechtlich Relevantes zu schreiben.

  1. Ich habe einmal den Browser Suchlauf durchrasseln lassen.. pro Artikel ungefähr sechs Mal die Worte Inzest und Vergewaltigung und das überdurchschnittlich oft in Verbindung mit Worten wie Oma, Rentner, Esel, Tiger, Hund, Welpe und so banalen Dingen… Ich glaube (ohne behaupten zu wollen daß sowas nicht passieren kann) aber daß den Redakteuren bei solchen Sex & Crime Storys „gewaltig“ einer abgeht… Sorry! Das sind in meinen Augen bemitleidenswerte Schweine mit dem Hang zum Drama. Diagnose: Rampensau (My Parents were’nt good to me“)

  2. Schon gelesen was der „gemeinnützige Verein“ von JouWatch draus gemacht hat?
    „Tag24 stellt fälschlicher Weise dar, das der enorme Anstieg bei Vergewaltigungen und schweren sexuellen Nötigungen wesentlich auf das, nach den Kölner Silvester-Übergriffen 2016 verschärfte Sexualstrafrecht zurück gehe. Der dramatische Anstieg geht vielmehr auf den unkontrollierten Zuzug mehrheitlich muslimischer junger Männer zurück, die aufgrund der verantwortungslosen Politik von Angela Merkel ins Land geflutet sind.“

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