Was ist in den letzten Jahren nicht alles über Märkte berichtet worden. Sie schwanken, legen an der Börse einen missmutigen Start hin oder sind zögerlich; die Märkte haben einen Höhenflug oder zweifeln. Jede Menge stimmungsgeladene Verben und Adjektive, die üblicherweise auf lebende Kreaturen passen. Doch am häufigsten ist vom Vertrauen die Rede. Der Konsument solle es den Märkten schenken, und die wiederum kommen auch nicht ohne aus. Vertrauen ist der Kit der kapitalistischen Wirtschaft. Zugleich verrät das Wort, dass Markt und Kapital gottgleich sind. Und wenn die Dinge doch schief laufen, liegt es an der ungläubigen Herde, die ihrem Trieb nachgibt.
Vertrauen hat viele Gesichter und umreißt dennoch ein klares Gefühl. Im Verb trauen, das seinen Kern ausmacht, steckt einerseits die Bedeutung „ehelichen, sich miteinander verbinden“. Andererseits meint es „keine Zweifel oder Vorbehalte […], kein Misstrauen haben“ und „Glauben schenken“. In Zedlers berühmtem Universallexikon, das Mitte des 18. Jahrhunderts das Ziel hatte, die Welt zu beschreiben, heißt es bezeichnend, Vertrauen sei „eine Freude über das Gute*, was man zu erhalten gedenkt“. Das Wort unterscheide sich von Hoffnung nur insofern, „daß wir einen höheren Grad der Gewißheit haben, oder zu haben vermeinen, das Gute zu erhalten.“ Kurz: Vertrauen ist nicht sachlich oder rational, es ist grundlos und kennt keine Schattierungen. Es ist eine Haltung, die bedingungslos ist und Vernunftgründe umschifft. Entweder man vertraut oder eben nicht. Das alles hat wenig mit Wirtschaft zu tun, denn klassisch bedeutet Ökonomie die geschickte Führung oder Verwaltung des Hauses (oikos), ein planvolles Tun also, das den Magen füllt und die Existenz sichert.
Was soll dann das ganze Gerede vom Vertrauen in die Märkte, in die Wirtschaft? Es geht nicht darum, Vorbehalte gegenüber Investmentbankern oder einzelnen Institutionen im täglichen Geschäft zu überwinden. Vielmehr wird die Komplexität der Wirtschaftsordnung (oder -unordnung) personifiziert, als ein großer Akteur gedeutet: Hegt keine Zweifel, kein Misstrauen gegenüber dem Markt, dem komplexen Ablauf der Dinge! Der Markt macht das schon. Wenn das Vertrauen in die Märkte sinkt, geht es nur oberflächlich um Personen, um Broker und Entscheider, um einzelne Menschen. Der Markt als Kollektivsingular ist viel weitgreifender als einzelne Figuren. Er ist allumfassend, allmächtig. Die religiöse Rhetorik ist kaum zu übersehen und verdichtet sich im permanenten Gefasel vom Vertrauen.
Es ist genau wie bei Gott: Das Vertrauen läuft immer nur in eine Richtung. Hiob, der von Gott auf die härtesten Proben gestellt wurde, ist hochaktuell. Am Ende wird er für sein unerbittliches Vertrauen erlöst, nachdem ihm alles genommen wurde. Die Vertrauensrhetorik verrät, dass wir noch die größte Gemeinheit der Märkte ertragen sollen, weil es gottlos und am Ende zerstörerisch wäre, ihnen keinen Glauben zu schenken. Schließlich gebe es, so der Klang der Gegenwart, keine Alternative – genau wie es theologisch keine zu Gott gibt. So wie Gottes Hand ist auch die des Marktes unsichtbar, man kann sie nicht beißen oder von sich stoßen, ohne den Klauen des Teufels zu nahe zu kommen.
Und wenn die Dinge schief laufen? Niemals hat der Markt etwas falsch gemacht. Wie sollte er auch? Gottgleich meint auch unfehlbar. Aber ist das Vertrauen geschwunden und Teufel oder Sozialismus schauen vorsichtig um die Ecke, dann liegt die Schuld an den Schäfchen, die nicht mehr glauben wollen: Schuld an Krisen und fallenden Kursen sind plötzlich immer einzelne Akteure, Personen, Institutionen. Als der DAX im Sommer 2015 unter die magische (ein weiteres interessantes Wort) Marke von 10.000 Punkten fiel, machte Spiegel online die „Logik der Fondmanager“ dafür verantwortlich. In bestimmten Momenten entwickle sich ein Sog nach unten, ein sich selbst verstärkendes Misstrauen, in dessen Folge „die Anlegerherde Richtung Notausgang“ rennt. (Hier der Link zum Artikel). Ein Schwarm dummer Einzelakteure geht dem Teufel auf den Leim. Das ist zwar grober Unfug, weil Anleger systemimmanent agieren, ihr Kapital verlagern und ihre Rendite sichern wollen. Verpackt im religiösen Singsang allerdings, klingt es unerbittlich danach, dass einzelne stupide Herden das Wohl aller gefährden, weil sie die göttliche Zuneigung aufs Spiel setzen.
Wir haben es also jedes Mal, wenn vom Vertrauen in die Märkte die Rede ist, mit einem Stoßgebet zu tun und mit dem heimlichen Eingeständnis, dass es keinen guten Grund gibt, warum die Dinge so sein sollten. Darin ist die Theologie der Wirtschaft übrigens voraus: Sie hat zumindest eine Ahnung davon, dass ihr Glaube ein Glaube ist und dass Glaube auch bedeuten kann, nicht zu wissen – alles könnte auch ganz anders sein.
Die beständige Rede vom Vertrauen verdeutlicht zudem ein anderes Argument: Wenn die Theorie, der Neoliberalismus und seine unsichtbare Hand, sich selbst zur quasireligiösen Wahrheit erhebt, wenn sie sich also nicht mehr als eine Theorie unter verschiedenen versteht, ist sie nichts anderes als Ideologie, ein Verblendungszusammenhang. Der typische Politikersprech von Sachzwängen und objektiven Notwendigkeiten ist die offensichtliche Verleugnung der Tatsache, dass es sich um den Glauben an eine bestimmte wirtschaftspolitische Theorie (oder eine bestimmte Form der politischen Ökonomie) handelt. Die Unvermeidlichkeit ist identisch mit jener eines Gebets, das erhört werden kann oder nachdem den Handelnden auch weiterhin die Hände gebunden sind.
Im kleinen Wort Vertrauen zeigt sich der ganze irrationale Wahn des Kapitalismus, der sich selbst zum Gott erhoben hat und keine anderen neben sich duldet.
* Im Original: „dem „Guten“.
Bild: BrThomas
[ng | rf]