Neben „Das Prinzip Hoffnung“ (Ernst Bloch) gibt es kein philosophisches Buch, dessen Titel derart in die Alltagssprache einging wie „Der Untergang des Abendlandes“. Derzeit hat die Phrase bei Spöttern wie Verteidigern von Pegida Hochkonjunktur. Im Kern treffen aber beide nicht Oswald Spenglers Werk, dessen zwei Teile 1918 und 1922 erschienen. Resignation oder Warnung sind dort kein Thema und im Vorwort seines geschichtsphilosophischen Entwurfs weist er das „Geschrei über Pessimismus“ von sich. Sein Unterfangen handelt vielmehr davon, „das Schicksal einer Kultur, und zwar der einzigen, die heute auf diesem Planeten in Vollendung begriffen ist, der westeuropäisch-amerikanischen, in den noch nicht abgelaufenen Stadien zu verfolgen.“
Spengler vertritt die in Antike und Mittelalter vorherrschende Auffassung, dass jede Ära ihre Zeit hat und analog zu Lebewesen von der Geburt bis zu Reife und Tod bestimmte Zyklen durchläuft. Darum spricht er von der Vollendung des Abendlands – was auch der treffendere Buchtitel gewesen wäre. Spengler setzt diese Idee gegen den modernen Fortschrittsoptimismus, den er als blind, naiv und unbegründet ansieht. Nach dem Abendland kommt eben eine andere Ära, wie in der Geschichte die Reiche und Epochen sich ablösten. Natürlich war Spengler ein antiliberaler Reaktionär, der Geldherrschaft mit Demokratie gleichsetzte und in einem neuen Preußentum die Vollendung der Epoche wie Neuanfang erblickte. Da muss man sich nichts vormachen. Dass der Autor, der übrigens recht zeituntypisch Antisemitismus und Rassenideologie nicht bediente, aber ein weinerlicher Schwarzseher war, ist reiner Mythos. Das hat der Genese seines Titels zum politischen Schlagwort aber ganz und gar nicht geschadet.
Foto: Hieronymous Bosch: „Tondals Vision“, www.hieronymus-bosch.org