Ein „Bekennerschreiben“? Die Sächsische Zeitung kennt die Wahrheit

bildschirmfoto-2016-09-28-um-17-27-04Bestimmt. Das ist überzeugend. Kurz nach den zwei Bombenexplosionen in Dresden ist ein Text aufgetaucht, in dem sich die Linke, genauer die Antifa, bekennt. Zwar gibt es Zweifel, die – das muss man fairerweise sagen – aller Orten benannt werden. Und dennoch redet etwa die Sächsische Zeitung wie selbstverständlich von einem Bekennerschreiben, ohne Anführungszeichen oder die sonst üblichen Zusätze „vermeintlich“ bzw. „vermutlich“. Das ist mal wieder grob fahrlässig.

Der sächsische Irrsinn ist kaum noch zu ertragen. Da jagen in der Pegida-Stadt ein paar Irre zwei Bomben hoch, eine vor einer Moschee. Dann taucht ein restlos absurdes Schreiben auf einer Plattform  auf, die frei zugänglich ist. Darin heißt es, dass die Linken es waren, um unter anderem gegen die frauenfeindlichen und antisemitischen Einstellungen der Muslime aufzubegehren. Als hätten halbwegs Linke nicht gerade in Dresden alle Hände voll damit zu tun, den reaktionären Mob in Schach zu halten. Um es vorsichtiger zu formulieren: Wer es war, wissen wir nicht. Die Wahrscheinlichkeit allerdings, dass gerade in Dresden, wo die Angst vor der vermeintlichen Islamisierung am Kochen ist, Linke gegen eine Moschee vorgehen, tendiert gegen Null.

Im üblichen Modus des Mediengeschäfts dieser Tage wird dennoch ausgiebig berichtet über dieses Stück digitales Papier. Und Markus Ulbig, bekanntlich allseits besorgt, bewirtschaftet den Blödsinn, um davon abzulenken, was in Dresden und ringsum los ist. Er nutzt die Gunst der Stunde und spult das Thema so lange wie möglich auf links durch. Im Morgenmagazin des ZDF zog er sich beständig darauf zurück, nicht in laufende Ermittlungen eingreifen zu können – um dennoch ausführlich über das „Bekennerschreiben“ Auskunft zu geben. Welch Zufall. Damit verknüpft sich das Ereignis zunächst mit Unklarheiten und Indizien, die nach links zeigen. Wenn später herauskommen sollte, wer es tatsächlich war, ist das Thema abgekühlt oder ganz von der Agenda verschwunden.

Ulbig, sonst chronisch ungeschickt, spielt in dieser Situation wahrscheinlich eher zufällig mit den Abgründen des Mediengeschäfts, dessen Beschleunigung der Qualität mitunter zusetzt und noch den waghalsigsten Vermutungen dabei hilft, heftig zu ventilieren. Und die sonst um Solidität bemühte Sächsische Zeitung verliert, womöglich auch in der Hektik, den Überblick oder den Anstand und macht aus etwas völlig Vagem ein Bekennerschreiben. Dass gerade die Überschrift ihren Abdruck hinterlässt und oft genug Deutungen soweit formt, dass der Text selbst einen Fehler im Titel nicht mehr ausbügeln kann, hatte schon Roland Barthes messerscharf argumentiert. Genutzt hat es offenbar nichts.

Nachtrag 29. September 2016

Die FAZ macht den gleichen Fehler und twittert ohne irgendeine Einschränkung vorzunehmen, dass auf einer „Antifa-Seite ein Bekennerschreiben zu den Anschlägen in Dresden aufgetaucht“ sei. Da sitzen vermutlich irgendwo in Sachsen ein paar Nazis oder besorgte Bürger (was etwa das gleiche ist) und lachen sich schlapp über die von ihnen so verhasste „Lügenpresse“, die ihren simplen Fake so ausgiebig diskutiert. Die Schreiberlinge des Textes, der als mögliches Bekennerschreiben zirkuliert, waren – würde ich vermuten – anderer Ansicht als die Bombenleger, aber nur in Bezug auf die Strategie. Es hätte der völkischen Bewegung ziemlich geschadet, wenn das Offensichtliche die Runde gemacht hätte und vielleicht auch Pegida einbezogen worden wäre. Und mit einem kleinen Trick verschieben sie die Debatte und lenken sauber ab. Das Mediengeschäft macht’s möglich. Und Sachsens Reaktionäre atmen durch.

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  1. soweit so gut, die feststellungen im artikel teile ich gern. eine fehlt aus meiner sicht jedoch: der sinn und nutzen von frei zugänglichen plattformen, wie indymedia, erschließt sich mir bis heute nicht. seit heute wissen wir auch das derartige internetangebote sogar mehr als kontraproduktiv sein können.

    das könnte allerdings auch journalistinne und journalisten auffallen.

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