Werbung dient bekanntlich der Verkaufsförderung und sagt häufig einiges über den Zeitgeist. Vor ein paar Jahren hatte der Slogan „Geiz ist geil“ einen festen Platz im Kulturgut und verdichtete eine ganze Lebenseinstellung: Wir wollen viel für wenig. Mittlerweile hat sich dieser Trend überlebt und wurde zu „Geil ist geil“ umgedichtet. Eine Tautologie als Werbeeffekt – allein das nährt kulturpessimistische Argumente. Es geht allerdings noch bizarrer. Eine aktuelle Tabakwerbung schießt den Vogel ab und spielt damit, die letzten Atemzüge der Freiheit in einer Welt der Ausbeutung zu verkaufen. Wie es scheint völlig ironiefrei.
Zwei Hipster zieren das große Werbeplakat für Stopftabak, die billige Version des Rauchens für jene, die des Drehens nicht mächtig sind. Und der Slogan erklärt (und biegt dabei die deutsche Sprache): „1 Herrensalon, 25 Haarschnitte, 5 Minuten Freiheit“. Die Story, mit der Winston hier Sexappeal für den Billigtabak herausschlagen will, ist also schnell erzählt: Eine Friseurin arbeitet und genießt die Pause mit der richtigen Zigarette und einem Kunden, der – nun auch gut frisiert – ihr schöne Augen macht.
Freiheit gehört längst als Werbemotiv zum täglich Brot vermeintlich kreativer Texter. Der berühmte Malboro Man hatte es mit seinem Ritt durch den US-amerikanischen Mittelwesten lässig mit Kippe im Mund vorgemacht. Doch was Winston als zu verrauchende Freiheit bewirbt, lässt die Kinnlade klappen und die Selbstgedrehte zu Boden fallen. Wenn sich eine Friseurin nach 25 (in Worten fünfundzwanzig) Kunden eine knappe Pause von fünf Minuten gönnt, soll das ihre Freiheit sein? Rechnen wir es kurz durch: Angenommen ein Herrenschnitt dauert durchschnittlich 20 Minuten und kostet 25 Euro, darf die Angestellte nach acht Stunden und 20 Minuten kurz die Schere fallen lassen, um fünf Minuten lang ihre Freiheit mit einer Kippe zu feiern. Diese Freiheit besteht im wesentlichen darin, in diesen acht Stunden etwa 625 Euro Umsatz einzufahren, von dem sie vor Abzug von Steuern und Versicherungen 70 Euro behalten und in Winston-Tabak, also in ihre Freiheit, investieren darf. Vorausgesetzt ihr Chef hält sich an den Mindestlohn.
Winston feiert die Ausbeutung und zeichnet die Konturen des zeitgenössischen Imaginationshaushalts. Selbst die dreckigsten Arbeitsbedingungen lassen sich mit etwas blauem Dunst in ein Leben voller Freiheit umdeuten – man muss es nur wollen. Wenn Werbung mit den Sehnsüchten der Konsumenten spielt, sie kitzelt und so ein Produkt an ein Gefühlt klebt, dann steuern wir in der Tat auf düstere Zeiten zu. Die Winston-Werbung ist so finster wie unabsichtlich ehrlich: In einer entsolidarisierten Gesellschaft feiert sich noch der letzte Angestellte mit oder ohne Zigarette dafür, amtlich ausgebeutet zu werden oder es gar selbst zu tun. Verknüpften sich früher noch die werbetauglichen Versprechen von Freiheit mit endlosen Weiten und Landschaften, kurz: mit dem Anderen des Alltags, haben sie mittlerweile den Weg zurück zum schnöden Mammon des Tagesgeschäfts gefunden. In der Zigarettenwerbung wird sichtbar, dass die neoliberale Anrufung, das Selbst zu Markte zu tragen und den Unterschied zwischen work und life zu pulverisieren, ganze Arbeit geleistet hat. Die konsumistisch nützlichen Sehnsüchte des Winston-Rauchers sind nur noch diesseits der Arbeit. Freiheit (für schlappe fünf Minuten) wird restlos zum Moment von Selbstoptimierung. Aus Wünschen und Träumen wurden kurze Pausen, die gerade zum Luftholen reichen. Die Macht ist zum Wunsch gekommen, und das ist keine gute Nachricht.