Sächsische Zeitungs-Zustände: Ja, manchmal muss es schnell gehen, eine Nachricht noch fix raus und auch Journalisten wollen in den Feierabend. Aber kann das als Erklärung für folgende Aussage über Nazi-Schikanen auf dem Löbauer Stadtfest gelten? Oder war das doch eher ein Freudscher? Der Autor schreibt: „Demnach sollen am Stadtfest-Freitagabend offenbar rechtsgerichtete Personen die Gesichter von Flüchtlingen abfotografiert haben, die sich unter die Stadtfestgäste gemischt hatten.“
Vom bedauernswerten Normalzustand, dass Nazis alle und alles ihnen nicht-deutsch Erscheinende bedrohen, mal abgesehen: Sächsische Zeitung, geht’s noch? Geflüchtete haben sich unter Stadtfestgäste gemischt? Ernsthaft? Man darf also nur mit deutschem Pass in sächsischen Nestern feiern. Die Gastfreundschaft, für die man sich so gern selbst auf die Schultern klopft, hört offensichtlich bei der Stadtfestgastfreundschaft auf. Und unter einer Mischlings-Metapher macht’s der Journalist auch nicht, wenn es um Nicht-Deutsche geht.
Lieber Tobias,
dein Engagement für die Misstritte des Journalismus in Sachsen finde ich gut, informativ und sehr hilfreich darin, den Blick auf durchdachte Worte zu richten, die den strukturellen Rassismus der Menschen aufzeigen und benennen können, was sich hinter anscheinend harmlosen Worten verbirgt.
Nur kann es sein, dass du mit deiner Überschrift selbst einen Stein wirfst, der weniger durchdacht ist oder wie darf ich eine „Mischpoke“ auf dem Stadtfest Löbau verstehen? Meines Erachtens gibt es da keine jüdische Gemeinde, oder doch? Und wenn dann, könnten jene wenige Menschen, unter den von dir benannten üblen Gestalten, die sich als deutsch bezeichnen, wirklich eine noch größere Misere sein? Sicher nicht. Mir dünkt, du benutzt dieses Wort genauso, wie es gemeint ist, nämlich als antisemitisches Ressentiment.
freundlich,
Juliane Moritz
Liebe Juliane, danke für Lob und Anmerkung zur Überschrift. Einen Stein wollte ich nicht werfen und habe das auch nicht, denke ich. Die Überschrift ist keine Beschreibung Löbauer Menschenansammlungen, sonder gibt ja die Perspektive des Autors wieder, der irgendeine „üble Gesellschaft“ auf dem Stadtfest wittert, die da nicht hingehört. Und natürlich spielt sie mit der Doppeldeutigkeit, also dem Ressentimentaspekt und der jiddischen Wortherkunft, wie auch dem Misch-Anklang.
Meines Wissens nach kommt Mischpoke vom hebräischen Wort Mischpacha für Familie und ist einerseits wertfrei bzw. selbstironisch für die eigene Familie, Sippe benutzt worden – und das weit über jüdische Familien hinaus, z.B. im Berliner Raum. Natürlich gab/gibt es auch Antisemiten, die das Wort abwertend verwenden. Also ist entscheidend, wer es wofür benutzt …
Wenn sich bei diesem Journalisten der Sächsischen Zeitung eine Hirnzelle weniger unter die Grütze in der Birne gemischt hätte, wäre seine Schreibfähigkeit ganz zum Teufel gewesen. Schade eigentlich.