Wer diesen Blog regelmäßig verfolgt, dürfte bemerkt haben, dass wir ein wenig maulfaul geworden sind. Neue Beiträge lassen mitunter länger auf sich warten. Dafür gibt es Gründe. Der eine lässt sich knapp zusammenfassen: Man hat das drängende Gefühl, sich endlos zu wiederholen und am Ende des Tages immer auf die gleichen Dinge aufmerksam zu machen. Frust ist kein guter Schreibberater. Ein anderer Grund allerdings ist die Systematik der Debatte selbst. Manche inhaltlich völlig berechtigten kritischen Einwände bespielen unabsichtlich aber effektiv die Logik der Eskalation, die von der AfD perfekt bedient wird.
Seit einigen Jahren ist eine auffällige Spirale der verbalen und praktischen Eskalation zu beobachten. Was 2015 noch ein Aufreger war, weil es einen (wenn auch nur oberflächlichen) humanistischen und dem Wortsinn nach antifaschistischen Konsens durchbrach, ist mittlerweile Normalität. Schrittweise wurde die Debatte entgrenzt mit immer neuen Zumutungen. Beispiele gibt es beinahe unzählige. Wer den täglichen Nachrichtenwahnsinn zu AfD, Pegida oder Trump verfolgt, dürfte die Verschärfung bemerkt haben. Mittlerweile sitzt ein Jens Maier im Bundestag, der – den Tränen nahe – mit dem Massenmörder Anders Breivik mitfühlte. Eine Chronik der Eskalation würde Serien von Aussagen zutage fördern, über die sich eine Öffentlichkeit erregte und die nicht viel später zum normalen Bestand des täglichen Irrsinns gehörten.
Die Dinge folgen einer gewissen Logik, die schon Anfang 2015 absehbar war, als Pegida zur massiven Verschärfung des Tons antrat. Was entsprechende Akteure fast täglich vollführen, hat die gesamte Debattenkultur (sofern sich noch von Kultur reden lässt) erfasst und lässt sich auf eine simple Phrase reduzieren: Zwei Schritte vor und einen zurück. Wer so unterwegs ist, kommt beharrlich vorwärts. Konkret läuft dies nach dem immergleichen Schema ab: Irgendeine verwirrt-besorgte oder reaktionäre und national besessene Seele haut einen raus und redet etwa vom Schießbefehl an den Grenzen, auch wenn sich dort Frauen und Kinder befinden (siehe hier). Und die berechtige Aufregung über solche Zumutungen wird dann doppelt genutzt: Einerseits folgt eine Halbdistanzierung nach dem Modus: „Da hat uns jemand missverstehen wollen.“ Das hilft dabei, den unliebsamen Medien und dem noch nicht gänzlich national verbrannten Teil der Öffentlichkeit einen etwas subtilen Manipulationsvorwurf zu machen, was der eigenen Opferinszenierung dienlich ist. „Immer hacken die bösen Medien zu Unrecht auf uns ein.“ Das funktioniert, selbst wenn Aussagen wenig deutungsoffen sind, wenn es also kaum möglich ist, dass der Kontext oder ein Wort die Aussage verfälschen könnte. Und andererseits wurde mit der reißerischen Aussage wieder eine Grenze verschoben: Eine Zumutung, eine verbale Eskalation, die bis dahin jenseits einer Grenze des Anstands und es guten Geschmacks zu finden war, wurde massentauglich platziert und damit im Kanon der Zeit abgelegt. Alles, was weniger scharf ist, bekommt das Etikett „lasch“. Es ist wie mit Alkohol: Wer regelmäßig und immer ein bisschen mehr trinkt, gewöhnt sich daran und verträgt bald auch harten Stoff.
Weil in diesem Prozess alle abstumpfen, braucht es immer krassere, heftigere Ausfälle. Dass Bernd Höcke unlängst von der Machtergreifung („wir werden die Macht bekommen“) sprach und anschließend ankündigte, man werde dann in der Türkei den Islam verbieten, steht exemplarisch für diese Logik der Eskalation. Höcke mag nicht die hellste Kerze am Leuchter sein. Doch auch ihm ist sicher nicht entgangen, wie unrealistisch dieses Szenario ist. Darum geht es allerdings nicht. Sinn der Sache ist nur, noch einen weiteren Schritt zu gehen, weil sich dahinter gewissermaßen andere ekelhafte Aussagen praktisch normalisieren.
Das alles ist nicht neu und wurde in den Tageszeitungen und Feuilletons schon oft besprochen. Ein Rezept jedoch, wie dieser Spin sich aufhalten oder wenigstens verlangsamen lassen könnte, fehlt weiterhin. Das ist vor allem wichtig, weil bekanntlich auf Worte Taten folgen, weil die rhetorische Eskalation die praktische vorbereitet. Wir sind längst dort angekommen, wo der nationale Wahn Tatsache ist (wenn wir jemals davon weg waren). Dies zeigt sich im Kleinen wie im Großen: Übergriffe und Anfeindungen im Alltag, Abschiebelager (und neuerdings von „konzentrierter Unterbringung„) und massive Abschottung auf EU-Ebene.
Anfänglich war es gut und richtig, Pegida und die AfD ob ihrer rechten Gesinnung bloßzustellen. Anfänglich war nicht allen Beobachtern klar, was da gärt. Anfänglich hätte man denken können, dass wirklich nur verwirrte und vom Stand der Dinge enttäuschte Bürger ihrem diffusen Unmut Luft verschaffen wollen. (Das mag in Teilen sogar so gewesen sein, nur war für wache Augen schnell erkennbar, in welche Richtung sich das entwickeln würde.) Jetzt allerdings, nach Jahren des permanenten Gezeters und der ständigen Eskalation, übersehen nur noch wenige ganz Naive die Konturen der neuen Rechten Lautsprecher. Alle anderen, die die rechtsradikale Gesinnung von AfD und Pegida weiterhin leugnen, führen entweder Böses im Schilde oder haben reichlich von der Querfrontmedizin genommen, was letztlich keinen Unterschied macht.
Gegenwärtig scheint es kaum noch sinnvoll oder gar effektiv, die braune Grundierung der AfD unter ihrem blauen Lack hervorzukratzen. Aufklärung ist nicht mehr nötig. Wenn dennoch täglich – genau genommen mehrfach täglich – rechte, rassistische Ausfälle der Partei in den sozialen Medien (die diesen Namen wirklich nicht verdienen) geteilt und erbost kommentiert werden, hilft dies nichts mehr. Tendenziell ist das Gegenteil der Fall: Die Entgrenzung wird vorangetrieben, bestimmte Themen werden, trotz aller Negationen und Distanzierungen, auf eine bestimmte Weise verbreitet. Ein altes Spiel findet immer wieder statt: „Denken sie jetzt nicht an ein Schaf.“ Kurz: Die Verneinung hat keinen Effekt. Schon klar, wir haben uns an diesem Spiel durchaus beteiligt, und es ist wahrlich nicht per se falsch. Möglicherweise ist es dennoch Zeit darüber nachzudenken, wann was genau geteilt und skandalisiert wird und was möglicherweise in den Untiefen des Netzes besser wenig Beachtung erfährt (was Leute wie Höcke oder Maier übrigens mehr ärgern würde als tausende böse Retweets). Ohne Zweifel: Widerspruch ist wichtig, und die reaktionären Pappnasen gewähren zu lassen, ist auch keine Alternative. Aber vielleicht sollte eine alte, gegenwärtig nicht eben prominente Differenz bedacht werden, jene zwischen real und virtuell. Reaktionärem, rassistischem oder antisemitischem Verhalten im wirklichen Leben (damit ist alles gemeint, was sich nicht im Rechteck eines Bildschirms abspielt) entgegenzutreten, bleibt weiterhin wichtig, das gilt auch für Vereine, Kreistage, Stadträte, den öffentlichen Raum etc. Aber im Rahmen des medialen Zirkus könnte es gut tun, von Zeit zu Zeit die Finger von der Tastatur zu lassen – oder andere Themen zu setzen. Die AfD und ihre Anhänger müssen nicht auf Dauer die Agenda bestimmen.
Bernd Höcke 😀
Stimmt, merkelkritische Kommentare sind in Deutschland eh eher unerwünscht 😉
Ja, genau. Und sie werden alle zensiert! Meinungsdiktatur! Es ist eh fast alles so wie zu DDR-Zeiten. Mein Gott, Berlinbär: Wirklich nichts Besseres zu tun?
Dann stimmt bei euch was nicht…ich sehe 3 Beiträge, unter eurem Bericht steht aber 4.
Und gestern waren da noch 3 weitere Kommentare, davon einer von Dir (von wegen, dass Du die Afd nicht als gut für die parlamentsdebatte siehts).
Vielleicht stammte das ja von jemanden anderen bei euch, der auch alles gelöscht hat.
Ich sehe gerade, dass tatsächlich ein paar Sachen weg sind. Warum auch immer. So wichtig war es ja nicht.
Ähemm…echt jetzt?…ein merkelkritischer Kommentar und Du löschst alle Beiträge? Wow, in Dir hätte ich jetzt nicht wirklich einen glühenden Merkelisten vermutet. Das sagt viel über Dich, aber auch über Merkel aus…;_)
Hä? Hier wurde nichts gelöscht.
Dass im Bundestag Leute etwas von „Volkstod“ rumbrüllen und andere Zumutungen platzieren ist ne gute Sache? Oh mein Gott. Schönen Dank dafür. „Endlich wieder Nazis im Parlament“. Also bitte.
Dann ist jetzt sicherlich genug Zeit sich der Sprache der Bosse und Konzernchefs anzunehmen. Zeit wird’s.