Halbseidenes Beschreibungsgeschäft

halbseidenLegal, illegal? Scheißegal: diese lumpigen Briefkastenfirmen. – „Halbseidene Geldgeschäfte“ nennen Focus & Co. die durch die Panama Papers aufgedeckten Unternehmungen. Das ist ein hübscher Versuch der Verschleierung, wessen Charakters denn nun die Geschäfte sind. Pauschal illegal sind Briefkastenfirmen offenbar nicht. Da man das aber ungern so offen schreibt, muss eben ein Adjektiv her, das der Sache etwas Schmieriges und Zwielichtiges verleiht. Da kommt das schillernde Attribut „halbseiden“ gerade recht.

Dabei meint Halbseide zunächst nur Gewebe, das in einer Fadenrichtung aus Seide besteht, in der anderen nicht. Kartoffelklöße, die verhältnismäßig wenig Stärke enthalten, werden aufgrund ihres Äußeren auch halbseiden genannt. Der Anteil an gekochten Kartoffeln ist bei ihnen sehr hoch und reicht von halb roh und halb gekocht bis zu ausschließlich gekochter Masse. Wie das Wort zu seinem miesen Beigeschmack kam, ist nicht hundertprozentig sicher. Man nimmt aber an, dass sich der Eindruck des Stoffes, der wertvoller scheint, als er ist, auf Menschen übertragen wurde. Jedenfalls ist er das totale Belletristik- und Boulevardklischee geworden: In Groschenromanen, aber auch in etwas besseren Krimis, ist immer wieder vom „halbseidenen Typen“ zu lesen, der irgendwo herumlungert – am besten im Zwielicht. In Hausmaestro, einem im Opermilieu spielenden Wien-Krimi von Rupert Schöttle, ist über einen „halbseidenen Kollegen“ zu lesen: „Jederzeit vom Zeugungswillen beseelt, der sich hinter einem vorgeblich Frauen verstehenden Charme verbirgt, gelingt es diesen Kerlen noch immer, so manches arglose Mädchen …“ Der Filmkrimi Ungleiche Brüder zeigt Lyon „nicht von seiner touristischen Bilderbuchseite …, sondern als morbide Parallelwelt, voller Spelunken und halbseidener Typen.“ Nur noch häufiger scheint das Attribut in Kritiken aufzutauchen. Da gibt es „halbseidene Nachtclubs“, „Bankgeschäfte“ – eben – und „Vergangenheiten“. Eine „halbseidene Frau Gemahlin“ hier, „halbseidene Kreise“ dort. Warum Beschreibungen verschwenden, wenn’s mit einem Wort gesagt ist? Auch wenn auf diese Weise unterbestimmt bleibt, was „halbseidene Geldgeschäfte“ denn nun sein sollen. Fürs negative Gefühl bei der Leserschaft wird es schon reichen.

  1. Der Teaser war so interessant, aber nachdem ich den Text gelesen habe, weiß ich nicht genau wohin der Autor denn nun möchte?

    Sind es die Panama Papers, die aber ja offensichtlich nur als Aufreißer für das Unverständnis zum Wort halbseiden dienen sollen, oder ist es die Kritik am übermäßigem Gebrauch desselben?

    Meiner Ansicht nach wird das Wort nicht ohne Grund so strapaziert. Es beschreibt den korrupten/regelbrechenden Typus innerhalb des Kapitalismus.
    Aber irgendwie ist er eben auch nicht halbböse, sonder ja doch eher seiden, weil man diesen Regelbruch ja eigentlich gar nicht so schlecht findet, sondern selbst schon oft genug darüber nachgedacht hat.

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