Heimatschutz mit Unkrautex: Neophyten

suedenWenn in Mozarts „Sehnsucht nach dem Frühling“ auch am Bache kleine Veilchen erblühen, sind hoffentlich weder Blaues noch Wohlriechendes Veilchen darunter. Denn die gelten einigen Wald- und Wiesenfans als abartig. Sie sind nämlich Immigranten und die deutsche Arche ist voll: So lugt florale Fremdenangst hinter vorgehaltener Hand hervor.

Diese artfremden Kulturen passen einfach nicht zu Eiche und Klatschmohn, Gänseblümchen und Schafgarbe, meint mancher Heimatschützer. Immerhin ist das Wohlriechende Veilchen ein südländischer Typ. Seine Heimat wird im Mittelmeerraum oder irgendwo zwischen Kaukasus und Kurdistan vermutet. Damit gehört die Viola-Variante zu den Neophyten, also den Wurzel schlagenden Neubürgern. Oft leben diese eingeschleppten oder bewusst vom Menschen angesiedelten Pflanzen schon Jahrhunderte hier. Der Japanknöterich kam 1825 nach Europa. Aber wie lange muss die von manchen Naturschützern gehasste springlebendige Pflanze hier noch wachsen, bevor sie als heimisch gilt? Das wird wohl niemals eintreten. Denn weil irgendwer auf die Idee kam, jedes Pflänzlein als Fremdling einzustufen, das nach der Entdeckung Amerikas rübermachte, gelten unzählige Bekannte als kulturfremd.

Wer aber würde denn Löwenmäulchen oder Meerrettich, Astern oder Flieder als nichtheimische Pflanzen bezeichnen? Auch die balkondominante, langweilige Pelargonie ist ein Exot. Die Forsythie leuchtet erst seit 150 Jahren hiesige Gärten goldgelb aus, dabei bringt kein anderer Strauch die kleinbürgerliche Zier besser zum Ausdruck. Seit ihrem ersten Auftritt 1878 im Botanischen Garten Göttingen brauchte der Chinaimport 88 Jahre, um sich außerhalb der Gartenmauer spontan auszubreiten. Andere Arten benötigten noch länger zur Autonomie, der Echte Lavendel etwa rund 400 Jahre. Obwohl die Neugepflanzten hierzulande in aller Regel harmlos sind für Mensch und Ökosystem, schwebt über ihren Kronen und Fruchtständen der Generalverdacht als Damoklessense. „Invasionsbiologie“: So ist schon die Wissenschaft von den Pflanzfremdlingen dem Namen nach erklärter Krieg, auch wenn sie vorurteilslos agiert.

Dass die Neuen nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen werden, kann man schon sprachlich erfassen, wie der Invasionsbiologe Bernhard Kegel schreibt: „Von grünem Krebs ist die Rede, von Monstern, Killeralgen, apokalyptischen Pflanzen und ökologischen Bomben, … Mörder- und Unkrautbäumen, von schöner oder blühender Pest, von grüner Hölle und roter Flut.“ Eine Hexenjagd sehen andere am Werk, die vermeintliche Überfremder und Unterwanderer der deutschen Bodenordnung mit Stumpf und Stiel auszurotten plant. Sie beklagen Pflanzenrassismus und Gehölzxenophobie. Ordentlich aufgerüstet ist’s an der Pflanzenfront.

Natur ist eben so rein nicht (und war sie nie). Freundin Flora wird gedeutet und aufgeladen. Im verwilderten Grün will der Mensch der Ursprünglichkeit nachfühlen, wie man bei der Beziehung der Deutschen zum Wald besonders deutlich erkennt. Da kann auch der jahrhundertealte Gast schon einmal stören. Selbst wenn man sich mit Kakteen und Yucca-Palme – auch ohne Spinne – exotisches Grün nach Hause holt, darf das nicht für Wald und Flur gelten. Michel und Holzwurmhaine sind fest miteinander verwachsen, wurzeln im uranfänglichen Mythos jenes Territoriums, das man heute Deutschland nennt. Wenn den Kelten nur eine Angst nachgesagt wird, nämlich dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt, so haben Germanen Panik vorm Waldverbot. Der ehedem dunkle Geselle Wald stach vor rund 200 Jahren plötzlich als etwas Schönes ins Auge, wird vom Unheimlichen zum Heimathain. Die imaginierte Gemeinschaft der Deutschen gründet im Blut- und Waldboden-Phantasma, ganz wie ein Berater beim Autobahnbau 1934 meinte: „Eine Straße aber muß Bäume haben, wenn anders sie ein deutsche Straße sein soll.“ Die Nazis ließen in Leipziger Wäldern den Bärlauch ausreißen, weil das „Zigeunerkraut“ heftig nach „Balkan“ roch. Dabei zählt der knoblauchähnliche Frühblüher nicht einmal zu den Neophyten.

Wenn fremde Pflanzen Wurzeln schlagen, schießen die Gedanken ins Kraut. Ist ein wildromantischer Wald mit Amerikazuzüglern wie Robinie, Kanadischer Pappel und Roteiche zu haben? Genaugenommen gibt es fast keine einheimische Pflanze in Mitteleuropa. Die Eiszeit hat vor 20.000 Jahren so ziemlich alles Leben plattgemacht. Mit dem Rückgang der gefrorenen Scholle kämpften sich langsam Pflanzen ins Tauwettergebiet vor. Als erste Sieder gestalteten Birke und Fichte die Tundralandschaften in Wälder um. Buche und Haselnuss folgten, der große Treck des Pflanzenzuzugs setzte später ein, oft hatte dann der Mensch bereits die Hände mit im Spiel; spätestens mit Ackerbau und Viehzucht vor 5.000 Jahren. Wissenschaftler nehmen an, rund 12.000 Pflanzenarten sind seit damals nach Mitteleuropa eingewandert. Trotzdem gilt keine andere Weltregion mit gemäßigtem Klima als so artenarm, weshalb manche Experten die Verschleppung der Flora eher gelassen sehen.

Diese kann ohnehin als Normalfall gelten. Expansion ist Natur pur, sie ist ein Motor der Evolution. Pflanzen sprengen Grenzen, oft genug haben sie besondere Mechanismen zur Verbreitung entwickelt, etwa Fallschirme oder Häkchen, mit denen sie auf anderen Lebewesen als blinde Passiere mitreisen. Und natürlich, so mag der Globalisierungsmüde schimpfen, ist der weltumspannende Handel auch für die Artenexpansion verantwortlich. Der Mensch führte sie mal gezielt als Zier- und Nutzpflanzen ein oder in Vogelfutter und Grassamen, als Transportbegleiter auf Schiffen, später in Flugzeugen. Die Pflaume brachte Alexander der Große von seinen Kriegszügen aus Westasien mit; Karl der Große soll später ihren Anbau forciert haben. Bis zum Ausgang des Mittelalters wurden gerade einmal 30 eingeschleppte Pflanzen wie Apfel und Birne, Esskastanie und Liguster kultiviert. Wie viel ärmer wäre unser Speisezettel, hätten die Preußen gesagt, die Kartoffel kommt uns nicht in den Acker, oder hätten die Italiener die Tomate diskriminiert?