Aus dem Hannah-Arendt-Institut in Dresden und der TU Chemnitz kommen ultrarechte Töne
Lothar Fritzes Welt steht vor dem Zusammenbruch. Für den Politikprofessor an der TU Chemnitz und Mitarbeiter am Dresdner Hannah-Arendt-Institut steht Deutschland kurz vor seiner Vernichtung. Schuld ist die „gute böse“ Willkommenskultur, die er allen Ernstes als totalitär beschreibt. Fritze bedient beinahe alle Mythen und Absurditäten neurechter Debatten und hängt diesen das fadenscheinige Mäntelchen der Wissenschaft um – ausgerechnet im Namen Hannah Arendts.
Das Hannah-Arendt-Institut in der sächsischen Landeshauptstadt ist schon eine Weile dafür bekannt, vorsichtig formuliert konservative Texte zu produzieren. Mit welcher Wucht diese Einrichtung das Erbe ihrer Namensgeberin mit Füßen tritt, sucht derweil ihresgleichen. Bereits vor einigen Jahren hatte sich Lothar Fritz mit bizarren Thesen hervorgetan. Damals legte er (unter anderem) nahe, dass Winston Churchill eine immense Schuld an deutschen Kriegsverbrechen trage, weil er mit seiner Forderung einer bedingungslosen Kapitulation die Deutschen erst in den Wahnsinn – und damit zum Holocaust – getrieben hätte. Ein atemberaubender Versuch der Schuldumkehr.
Nun hat Fritze, immerhin honoriger Professor in Chemnitz, auf der Perspektiven-Seite der Sächsischen Zeitung für sein neues Buch werben dürfen. Es heißt Der gute böse Wille. Bereits der Verlag lässt erahnen, woher der Wind weht. Edition Sonderwege ist ein Imprint des Manuscriptum-Verlags, bei dem unter anderem Akif Pirincci und Frauke Petrys Berater Michael Klonovsky ihr Geistiges abladen dürfen. Auch in der Antaios-Verlagsbuchhandlung ist Der gute böse Wille seit letztem Herbst ein Bestseller. Und dass Fritze gerade dem Magazin Sezession, herausgegeben vom Neurechten Ungeist Götz Kubitschek, dem auch der genannte Antaios-Verlag gehört, ein Interview gibt, spricht ebenfalls für sich. Da wundert es auch nicht mehr, dass Google auf der ersten Seite als Bezugsmöglichkeit den Kopp-Verlag oder für Rezensionen die Blaue Narzisse und den Neonaziladen „WB-Medien“ von Thorsten Heise listet. Dort freut man sich: „Fritzes Buch ist größtmögliche Verbreitung zu wünschen, weil es die Argumente liefert, die Gutmenschen auf ihrem ureigenen Gebiet – der Moralphilosophie – vernichtend zu schlagen.“
Vor diesem Hintergrund war es durchaus erwartbar, dass Fritze mit eher reaktionären Thesen aufwarten würde. Doch was sich in diesem Text Bahn bricht und immer noch akademisch vom Hannah-Arendt-Institut und der TU Chemnitz geadelt wird, hätten Hardliner von AfD, Pegida oder der Identitären Bewegung nicht deutlicher ausdrücken können. Beinahe das gesamte Arsenal besorgter Paranoia findet sich. Doch der Reihe nach.
Deutschland befinde sich in einem Kulturkampf, eröffnet Fritze. Dabei stehen sich zwei Parteien gegenüber, die im Wesentlichen um die Frage streiten, ob und wie „nationale Identität und kulturelle Homogenität“ zu verteidigen seien. Die „Pro-Position“ sind für Fritze „konservative Intellektuelle“ und „wenigstens intuitiv große Teile der Bevölkerung“. Die andere Seite wird von der „politisch-medialen Klasse“ vertreten, die – und jetzt wird es heftig – ein „langfristig angelegtes gesellschaftliches Projekt“ verfolgen: Eine multikulturelle Gesellschaft. „Lügenpresse“ und „Merkeldiktatur“ ist deutlich zwischen den Zeilen zu lesen. Um dorthin zu gelangen, werde Einwanderung auch gegen die „Widerstände der Völker“ „forciert“. In weniger verdeckt rechten Kreisen heißt das „Umvolkung“ oder „großer Austausch“.
Fritze lässt dabei wenig Zweifel, wer in seiner Welt die gute und wer die böse Seite der Macht vertritt. Während die einen Intellektuelle sind, die „rational und legitim“ sowie im Sinne des Grundgesetzes die biodeutsche Vorherrschaft verteidigen wollen, geben sich die anderen einer irren „Illusion“ hin und verfolgen ein groß angelegtes „soziales Experiment“. Weil Fritze von Berufswegen mit Totalitarismus umgehen muss, verbaut er auch diesen noch: Die Verteidiger des deutschen Nationalismus seien „antitotalitär“ (das ist kein Tippfehler), weil sie sich gegen radikale Umwälzungen, gegen das „Groß-Experiment“ zu Wehr setzen. Das bedeutet freilich auch, dass die Advokaten der Willkommenskultur, die in Fritzes paranoider Welt Deutschland abschaffen wollen, selbst totalitär sind.
Länger schon will die Rhetorik vom Totalitarismus nicht mehr viel bedeuten; mit Fritze allerdings wird sie völlig irre. Er muss eine Verschwörung gegen Deutschland imaginieren, um den Totalitarismus bei jenen zu finden, die er selbst „universalistisch, internationalistisch und multikulturell gestimmt“ nennt. Fritze behauptet also allen Ernstes, irgendjemand in Deutschland würde planen, die autochtone Bevölkerung auszutauschen. Etwa ein Thomas de Maizière, der munter nach Afghanistan abschieben lässt? Am anderen Ende der Skala schimmern dann die besorgten Bürger als explizit „antitotalitär“ auf, selbst wenn diese sehr deutlich die Heterogenität von Gesellschaft zum ersten Feind erklärt haben und ein total deutsches Deutschland fordern. Weiter kann die Totalitarismustheorie nicht sinken, die das Etikett Theorie seit geraumer Zeit nicht mehr verdient.
Auch bei der Wahl der Mittel seien die Kämpfer der Willkommenskultur nicht zimperlich, erklärt Fritze: „Die Hauptmethode der Kampfesführung der universalistisch […] gestimmten Protagonisten besteht allerdings nicht im Ausbreiten von Argumenten, sondern in der moralischen Desavouierung derjenigen, die – durchaus verfassungskonform – am Fortbestand des deutschen Volkes und des deutschen Nationalstaates interessiert sind und die nationale Identität erhalten möchten.“ Damit bespielt Fritze hervorragend besorgtes protofaschistisches Denken und produziert einen so auffälligen Selbstwiderspruch, dass man ihn wahrlich nicht mehr als Wissenschaftler bezeichnen mag: Fritze selbst liefert in seinem Text, der bewusst mit einer akademischen Tonlage spielt, kein einziges Argument, sonder reiht absonderliche Behauptungen aneinander. Argumente sind bekanntlich Beweisgründe, und sie sind einfach nicht zu finden. Weder liefert Fritze irgendetwas, um zu belegen, dass Kämpfer der Willkommenskultur nur moralisch auftrumpfen wollen, noch hat er Belege parat, um die These von der gesteuerten Umvolkung zu stützen. Weil Fritze dies womöglich selbst aufgefallen ist, zitiert er den algerischen Staatspräsidenten mit einer Aussage aus dem Jahr 1974. Darin schwadroniert dieser davon, dass die Bäuche der algerischen Frauen irgendwann den Sieg bringen werden, weil der Süden den Norden totgebähren werde. Klingt dramatisch. Für einen Wissenschaftler allerdings sollte die Relevanz seiner Quelle nicht völlig nebensächlich sein. Global in einem Zeitfenster von etwa 43 Jahren wird sich für jeden Blödsinn ein Zitat finden. Anschließend mimt Fritze Björn Höcke, nur etwas weniger dreist formuliert. Ein „exzessives Bevölkerungswachstum“ in Afrika und im Nahen Ost sei für die nächsten zehn Jahre zu erwarten. Wo Fritze das her hat, bleibt er freilich schuldig. Vielleicht stammt es aus dem Compact-Magazin von Jürgen Elsässer oder doch direkt von seinen Freunden bei der Identitären Bewegung?
Auch für die Annahme, dass das konservative, völkisch beseelte Volk die Mehrheit darstelle, mithin „die Bevölkerung“ selbst sei, vermisst man bei Fritze jeden Beleg. Alle Umfragen zeigen ziemlich genau das Gegenteil. Zwischen 80 und 90 Prozent wählen nicht die AfD. Bei Fritze hat offenbar die performative Kraft des Spruchs „Wir sind das Volk“ sein Werk verrichtet, abseits aller Argumente oder Zahlen. Für einen Wissenschaftler, dem es gelingen sollte, wenigstens ein bisschen Distanz zu wahren, eine schwache Leistung. Ebenfalls geflissentlich ignorieren muss Fritze den ganzen repressiven Apparat, der mit steigender Intensität Migration verhindert. Millionen fließen jährlich zu Frontex, und selbst mit einem Diktator wie Recep Tayyip Erdoğan macht Europa Deals, um fliehende Menschen außen vor zu lassen. Die Liste an Maßnahmen ließe sich beliebig verlängern. Dennoch gilt Fritze all das als zielgerichtetes Projekt zur Auslöschung des deutschen Volkes. So verquer muss man erst einmal denken – als Professor und im Namen Arendts.
Zusammengefasst haben wir also alles beisammen, was es für den besorgten Cocktail braucht: Die Willkommenskultur sei totalitär, also beinahe faschistisch, will heißen linksfaschistisch; argumentiert werde nicht, nur moralisch desavouiert – heißt Meinungsdiktatur, mit der die Wahrheit verboten werden soll; die Deutschen seien die Opfer einer geplanten Umvolkung, der ganze verschwörungstheoretische Unsinn. Man müsse, schließt Fritze, nur das ideologische Fundament hinter der Willkommenskultur bloßstellen, also die gezielte Auslöschung der Deutschen im Bahnhofsgeklatsche entdecken, dann würden sich die Dinge bessern. Weil sich dann das Volk offen und amtlich dagegen stemmen würde. Auch wenn Fritze noch ein wenig Pseudodemokratisches einstreut, träumt er ganz offen von einem Umsturz, weil eine Änderung der „Herrschaftsverhältnisse“ nichts anderes als das meint. Nach rechts außen ist nun keine Luft mehr. Schmerzhafter lässt sich das Erbe von Arendt nicht in den Dreck ziehen.
[rf und ts]
Ich hatte mal die große Ehre bei Fritze eine Hausarbeit zu schreiben. Ich bekam eine schlechte Note, weil ich einen „willkührlichen Merkmalskatalog“ bezüglich Rechtsextremismus erstellt hätte. Defacto waren das anerkannte Autoren aus Politikwissenschaft, Soziologie und Pädagogik.
Später hatte eine Bekannte bei ihm an der TU Chemnitz ein Seminar zu Hans Werner Sinn, dem neoliberalen Dampfplauderer vom Ifo-Institut. Das Seminar behandelte ausschließlich (!) ein frisch erschienenes Buch von Sinn. Kritik an dessen Aussagen war dann „linkes Gerede“. So viel zu Fritzes Wissenschaftsverständnis.