Westgotisches Ahnenerbe

1228„Neapel bleibt unser! Für ein Deutschland in den Grenzen von 1228“: Die Fallstricke der historischen Argumentation drückt der Antifa-Sticker aus den Neunzigern vorzüglich aus. Projektionen eines „Wir“ in einen bestimmten Raum und zu einer bestimmten Zeit lassen ziemlich alles möglich werden. Mit dem Ruf nach „Reconquista“ zeigt das ethnopluralistische Denken ein solches geschichtsklitterndes Vorgehen. Dabei ist nicht nur die Bezugnahme auf die „Rückeroberung“ des christlichen Spaniens von Muslimen durch christliche Spanier schief. Der Begriff in sich selbst ist eine historische Konstruktion zur identitären Sinnstiftung.
„Reconquista Germania“ nennt sich eine Facebook-Gruppe, die den „Kampf um die deutsche Souveränität“ fordert. Auch jene verhuschte Clique, die gleich eine ganze identitäre Bewegung sein will, hat sich „Reconquista“ auf die gelben Fahnen geschrieben. Und nun hat der Leipziger Pegida-Ortsverein die Floskel auch für sich entdeckt. Ein christliches Ritterideal, El Cid – sie mögen ja Helden – und der heroisch-soldatische Kampf gegen den Invasoren-Islam. Das Feindbild ist perfekt und die historische Stunde wie gemacht zur Mahnung an die Gegenwart.
Nur ist das natürlich Käse und anachronistischer Quatsch (laufen die eigentlich demnächst mit dem Bundschuh auf?). Er entspricht nicht der angeblichen Gida-Gewaltlosigkeit; auch die Identitären machen trotz aktionistischem Alarmismus auf peacig. Über 770 Jahre tobten militärische Auseinandersetzungen auf der iberischen Halbinsel, bis die muslimischen Mauren verdrängt wurden. Dabei waren Westgoten & Co. auch nur ein paar hundert Jahre zuvor in die Gegend getrottet. Ohne in die Frühgeschichte hineinzutauchen, kann man drei vorhergehende Phasen unterscheiden, nämlich Romanisierung, Germanisierung, Islamisierung. Letztere begann 711 mit der Ankunft der Mauren, deren Machtbereich sich bald über die gesamte iberische Halbinsel erstreckte. Die Abwehrbewegungen vorheriger dort lebender Gemeinschaften dauerten bis 1492 an. Das hat man später „Rückeroberung“ (eben: Reconquista) genannt, ihren Beginn gleich 711 angesetzt und einen rein religiösen Konflikt (Christen vs. Muslime) hineininterpretiert, in dem Spanier gegen Fremde kämpfen. Ein starkes Königtum wollte sich als Zentralherrschaft endlich im zersplitterten Machtgefüge etablieren und bemühte auch daher die Einheit des Christentums. Man berief sich auf den Kreuzzugsgedanken. Wie so oft war es das Vorgehen gegen einen äußeren Feind, der im Innern den Zusammenschluss befördern sollte.
Der Autor Juan Goytisolo kritisiert pointiert die Darstellung, hier hätten Spanier gegen Nichtspanier obsiegt: Die iberische Halbinsel gelte vielen als „abstrakter Raum“, „in dem seit den fernsten Urtagen Menschen hausten, die schon zweitausend Jahre vor der historischen Existenz Spaniens wundersamerweise ‚Spanier‘ waren: Tartessier, Iberer, Kelten, Keltiberer. Als die Phöniker, Griechen und Karthager und Römer an unseren Küsten landeten, stießen die Invasoren auf den hartnäckigen Widerstand der Ureinwohner, bevor sie sich ihrerseits hispanisierten und allmählich ‚Spanier‘ wurden. (…) Spanien hätte wie ein Flußbett den Zulauf verschiedener Menschenströme erhalten, die Jahrhundert um Jahrhundert von den Phönikern bis zu den Westgoten das anfängliche Gewässer anschwellen ließen und bereicherten. Als diese den afrikanischen Eroberern unterliegen, bedeutet die Zerstörung ihres Reiches bereits die Zerstörung ‚Spaniens‘. Und folglich ist die Reconquista (…) ab ovo ein Widerstandskampf Spaniens …“
Das taugt natürlich prima zum Nationbuilding. Die kriegerischen Handlungen hatten neben religiösen auch politische und soziale Momente und Gründe. Ein hineininterpretierter Kulturkampf („Clash of Civilizations“) war es nicht. Dass es da auch Phasen des Zusammen- oder wenigstens Nebeneinanderherlebens gab und nicht andauerndes Hauen und Stechen, verschleiert der Reconquista-Kampfbegriff. Für die jüdische Bevölkerung war das Erscheinen der Nordafrikaner und die Errichtung von Al-Andalus ein Segen. Ihnen hatten die Westgoten die Ehe mit Christen untersagt, hohe Steuern auferlegt und die Verschleppung der Kinder war Usus, um sie christlich zu erziehen. Später lebten Juden auf beiden Seiten, beteiligten sich auch an Wiedereroberungen, wurden hier wie da mal toleriert, in anderen Zeiten verfolgt. Bis die Reconquista mit der Eroberung von Granada 1492 ihren Abschluss fand. Im gleichen Jahr begann mit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus die Conquista, die Landnahme und Missionierung mit Feuer und Schwert in Übersee. Als Krönung der Reconquista wurde das Alhambra-Edikt erlassen, das zur Zwangschristianisierung, Vertreibung und Ermordung hunderttausender Juden führte. Auch so geht Abendland.

 

 

Bild: Der Rechteinhaber konnte nicht identifiziert werden, das Foto taucht in mehreren Blogs (z.B. taz-Hausblog) ohne Quellenangabe auf.

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