Die Differenzen zwischen besorgtem Wunschbild und Wirklichkeit sind groß. Das trifft nicht zuletzt auf die Vorstellungen vom richtigen und frommen Privatleben zu. Während der feuchte Traum besorgter Bürger und Eltern (besorgte-eltern.net) jener einer monogamen Ehe mit drei Kindern ist, sieht die Lebenswirklichkeit um einiges komplizierter aus − auch jene der Besorgten selbst. Als 2015 die rot-grüne Landesregierung in Baden-Württemberg einen neuen Bildungsplan vorzustellen gedachte, der vorsah, »Schülerinnen und Schülern (…) die verschiedenen Formen des Zusammenlebens von/mit LSBTTI-Menschen« näherzubringen, schlugen die Wellen hoch. Das konservativ-reaktionäre (und teils das christliche) Lager sah sich einer Wiederkehr der 68er-Promiskuität ausgesetzt und versammelte sich hinter der Kampfvokabel »Frühsexualisierung«. weiterlesen
WdbB: Abschiebeverhinderungsindustrie
Man muss Rainer Wendt Respekt zollen. Kaum jemand sonst hatte sich derart festgebissen im deutschen Talkshowgeschäft. Woche für Woche polterte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoIG) gegen die aufgeklärte Welt und redete ihren Untergang herbei. Nur die ganz harte Hand könne noch helfen. Dabei gelang es Wendt, als Gesicht der ganzen Polizei aufzutreten, obwohl seine durchaus umstrittene Gewerkschaft mit 94.000 Mitgliedern deutlich kleiner ist als die Konkurrenz, die Gewerkschaft der Polizei. weiterlesen
WdbB: Schuldkult
9. November 2015, Dresden: Zum Jahrestag der Reichspogromnacht forderte Pegida den Schlussstrich. »Lasst uns mit eurem Schuldkult für die Vergangenheit, für die keiner von uns hier die Verantwortung trägt, endlich in Ruhe!«, schallte es von der Bühne. Der Termin ist makaber, die Wortverwendung entlarvend. Schuldkult wird von der extremen Rechten seit Langem als »psychotisches Krankheitsbild« (so der verstorbene Nazi Jürgen Rieger) attestiert. Er funktioniert wie die Nazikeule als doppelte Unterstellung: Man schiebt den anderen etwas unter, um es ihnen dann vorwerfen zu können. weiterlesen
WdbB: christlich-jüdisch
Die Rolle der »christlich-jüdischenTradition« bei der kolportierten Notwendigkeit, das Abendland gegen die Islamisierung zu verteidigen, erscheint wie ein Phantomschmerz. Denn das sächsische Geburtsland von Pegida ist wie andere ostdeutsche Bundesländer für die Konfessionslosigkeit seiner Einwohner bekannt. Manche würden auch behaupten, dass es Antisemiten dort leichter haben als Juden. Vielleicht deshalb strengt sich die Evangelische Kirche in Sachsen nun an, dem Phantom eine pegida-gerechte Gestalt zu geben. So profilierte sich der Landesbischof Carsten Rentzing vor seiner Ernennung mit homophoben Aussagen. Und für den ob seiner DDR-Opposition bekannten ehemaligen Pfarrer Theo Lehmann drückt sich in dieser Haltung der auch in Kirchensachen bewundernswerte »sächsische Weg« aus. Diesen ebnet er für die Spaziergänge von Pegida, an denen er teilnimmt, um seine Kritik am Islam als »antichristliche Religion« zu demonstrieren. weiterlesen
WdbB: Asylindustrie
Eigentlich treibende Kraft hinter der Flüchtlingskrise ist die Asylindustrie. In gewissen Kreisen etablierte sich die zeitgemäße Notwendigkeit, auf jede Meldung zu fragen: »Cui bono?« Nur wer erkennt, wem der Lauf der Ereignisse in die Taschen spielt, erkenne auch, was wirklich los ist. Industrie kann erst mal ein neutrales Wort sein und eine bestimmte, eben industrialisierte Produktionsform meinen oder einen Wirtschaftszweig. Im letzteren Fall kann sich ein negativer Beiklang einstellen, wenn etwa die Musikindustrie beklagt wird, die weniger auf den künstlerischen Wert achtet als auf Chartplatzierungen. Der Vorwurf des schnöden Geldverdienen-Wollens steht bei Asylindustrie im Vordergrund. Hier hat man sich gierige Profiteure vorzustellen, die rücksichtslos mit Blick aufs eigene Konto an der Füllung des selbigen arbeiten. weiterlesen
WdbB: Gutmensch
»Der größenwahnsinnige Herrenmensch ist zurück«, hieß es von Pegidas Bühne. Er komme heute als Gutmensch daher. Nun ist Tucholskys Spruch »Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint« allbekannt, wie aber konnte der gute Mensch zum Feindbild werden? weiterlesen
WdbB: Obergrenze
»Die Obergrenze wird kommen«, gab sich Horst Seehofer von der CSU, dauerbesorgter Regierungschef in Bayern, im Dezember 2016 zuversichtlich. Was sich im beschaulichen Freistaat so leichtfüßig sagen lässt, hat einen harten, unmenschlichen Kern. Obergrenzen lassen sich in Bezug auf viele Dinge definieren: Wer am Projekt Sommerkörper arbeitet, kann sich eine Obergrenze für Kalorien geben, die täglich zugeführt werden. Und wer befürchtet, zu oft und zu tief ins Glas zu schauen, könnte ähnlich mit Alkohol verfahren. In allen Fällen bedeutet es, alles Überschüssige wegzulassen. weiterlesen
WdbB: Weihnachten
Zum hohen Fest ist den Leuten kein Weg zu weit, um sich im Kreise der Lieben unter die geschmückte Tanne zu setzen und in trauter Runde Gänsebraten oder Kartoffelsalat mit Würstchen zu verspeisen. Die Fast-Eltern auf Herbergssuche geben nur den Rahmen, der aber lästig zu werden droht, wenn der Pfarrer im ausnahmsweise übervollen Heiligabend-Gottesdienst darauf hinweist, dass Jesus kein Deutscher und noch dazu so etwas wie ein Flüchtling war. Die Deutschlandhasser wollen sogar diesen Hort des Friedens und der Selbstvergewisserung, der Völlerei, der Hausmusik und des gepflegten Familienstreits zerstören. weierlesen
WdbB: Heimat
»Der sehr deutsche Begriff Heimat klingt harmlos. Doch progressiv besetzt werden kann er nicht«, argumentierte Patrick Gensing in der taz und verwies unter anderem auf die Nazikameradschaft Thüringer Heimatschutz, Forderungen besorgter Bürger, die Band Frei.Wild und den unter dem Begriff Neue Heimat firmierenden Siedlungsbau der Nazis. Die hässliche Schlagseite des Wortes spiegelt sich auch im niedlichen DDR-Pionierlied Unsere Heimat. Zuerst wird dort ein idyllisches Bild von Natur und Kultur gezeichnet, die Heimat dann aber nicht wegen ihrer Eigenqualitäten für schützenswert erklärt, sondern »weil sie unserem Volke gehört«, wie das Lied in höchsten Tönen kulminiert. In einer solchen Lesart von Heimat steckt immer auch Blut und Boden, die unverbrüchliche Verknüpfung von Menschen mit ihrer Umgebung, Unveränderlichkeit und die notfalls bewaffnete Verteidigung der Scholle ( Volksgemeinschaft). weiterlesen
WdbB: Rasse
Die »sozialräumliche Häufung menschlicher Erbmerkmale im Sinn einer Formengruppe« (Wörterbuch der Ethnologie) lässt sich nicht leugnen: Wer in Nigeria geboren wurde, sieht aller Wahrscheinlichkeit nach anderen Nigerianern ähnlicher als beispielsweise einem Iraner. Fast alles, was über diesen banalen Befund hinausgeht, ist problematisch. Sowohl in Nigeria als auch im Iran, um kurz beim Beispiel zu bleiben, gibt es keine Übereinstimmung von Staatsbürgerschaft einerseits und Ethnizität, Sprache und Kultur an- dererseits. Auf genetischer Ebene finden sich innerhalb der Bevölkerung eines Gebiets mehr Unterschiede untereinander als zum Rest der Menschheit. Dies gilt nicht nur in interkontinentalen Transiträumen wie dem Iran, sondern auch bei den durch ihre Insellage und strenge Einwanderungsgesetze stärker isolierten Japanern. weiterlesen